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Die Zukunft im Alltagsdenken

Feuilletonredakteure, Soziologinnen und religiöse Fundamentalisten wissen uns gegenwärtig viel über die Zukunft zu erzählen. Um deren Prognosen soll es im vorliegenden Buch jedoch nicht gehen. In "Die Zukunft im Alltagsdenken" fragen Claudia Honegger, Caroline Bühler und Peter Schallberger, ob es denn vielleicht jenseits dieses Rauschens der schönen Worte auch laienhafte Zukunftsvorstellungen gäbe. Und: es gibt sie. Im Buch wird, anhand von Porträts, die auf einer sequenzanalytischen Auswertung von 80 offenen Interviews beruhen, eine Typologie deutschschweizerischer alltagsweltlicher Zukunftsszenarien vorgelegt. Dieser Hinwendung zum Alltagsdenken liegt keineswegs die Annahme zu Grunde, dass sich darin eine letzte, absolut gültige Wahrheit auffinden liesse oder dass es ganz einfach gut wäre, den Sorgen, Nöten und Hoffnungen des gemeinen Mannes, der gemeinen Frau eine Plattform zu bieten. Die Typologie verdeutlicht, dass alltagsweltliche Vorstellungen mehr sind als ein loses Gefüge vereinzelter und beliebig zusammengewürfelter Meinungen, Ansichten und Spekulationen. Es handelt sich dabei vielmehr um Reflexionen von hoher Dichte und Kohärenz, und die AutorInnen zeigen, dass diese sich jeweils ganz spezifischen kulturellen Traditionen der Wirklichkeitsdeutung und Wissensproduktion zuordnen lassen.
Im vorderen Teil des Buches führen einem die AutorInnen auf 60 Seiten fundiert und anschaulich die grossen Umbrüche und Krisen der Schweizer Wirtschaft in den 1990er Jahren vor Augen. Die rekonstruierten alltagsweltlichen Szenarien zeigen sodann, wie tief der Schrecken angesichts einer häufig als allumfassend erachteten Ökonomisierung sitzt. Währenddem einige den Konsequenzen der Globalisierung pragmatisch begegnen, sehen andere sich von unheilvollen Entwicklungen überrollt, durch welche die gemeinschaftlichen Fundamente der Gesellschaft zerstört werden. Durch die Rekonstruktion der Bedeutung von sozialer Lage und Herkunftskonstellation für das individuelle Denken liefert das Buch zugleich einen materialen Beitrag zur Kritik der Individualisierungsthese. Die "grossen Umbrüche" bleiben im Buch nicht als soziologischer Gemeinplatz unexpliziert: Wer sich also mit der Beck’schen Individualisierungsthese, der Schweizer Wirtschaft in den letzten Jahren oder eben der Zukunft im Alltagsdenken beschäftigen will, muss dieses Buch lesen.

Im Buchhandel erhältlich. 350 Seiten, ISBN 3-89669-992-X; CHF 49.-

WIDERSPRUCH 42

Die neueste Ausgabe von WIDERSPRUCH ist den Themen Sicherheit, Freiheit und globale Gerechtigkeit gewidmet. Einige Texte richten sich ganz speziell an ein soziologisch interessiertes Publikum. Ein paar Lektürehinweise: Urs Marti stellt in seinem Artikel fest, dass die Ungerechtigkeit des Weltwirtschaftssystems sowie die ungleiche Verteilung von Rechten, Macht, Sicherheit und Entwicklungschancen die globale Gerechtigkeit in weite Ferne rücken. Die Zukunft der Weltsozialpolitik nach dem Weltsozialforum von Porto Alegre 2002 stellt einen Schwerpunkt im Heft dar. Hans Schäppi und Urs Sekinger zufolge erfordert eine Politik globaler Gerechtigkeit die Stärkung des neuen Gewerkschaftsinternationalismus - bei aller Heterogenität der Antiglobalisierungsbewegung und allen Differenzen zwischen traditionellen und neuen Gewerkschaften.

In der Schweiz und in Deutschland nimmt laut Ueli Mäder, der sich, wie im vorliegenden soz:mag zu lesen ist, in seinen Untersuchungen sowohl auf Armutsberichte wie auch auf Reichtumsstudien bezieht, die Verteilungsgerechtigkeit ab. Nicht mehr auf "Gerechtigkeit und Innovation" setzen sozialdemokratische Parteien im Wahlkampf, sondern auf "Sicherheit und Freiheit". Gregor Husi analysiert und plädiert in seinem Beitrag für eine moderne linke Wertepolitik. Nach Theresa Furrer überlagert in der Öffentlichkeit der Sicherheitsdiskurs Fragen sozialer Sicherheit. Sie stellt in ihrem Artikel das Fehlen einer integrativen Sicherheitssoziologie fest. Dies und mehr im WIDERSPRUCH 42.

Erhältlich im Buchhandel oder bei WIDERSPRUCH, Postfach, 8026 Zürich. 212 Seiten, CHF 25.-
Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt, Du musst JavaScript aktivieren, damit Du sie sehen kannst. ; www.widerspruch.ch

 

«Kommunikation ist unwahrscheinlich.»

Niklas Luhmann (2001): Aufsätze und Reden, Hrsg: Oliver Jahraus, Stuttgart, S.78