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soziologie.ch soz:mag#3 lebens- und berufsverläufe von soziologInnen der uni zürich

lebens- und berufsverläufe von soziologInnen der uni zürich

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Von Hintertüren, Lebenswegen und ‘akademischem Frauensterben‘

Der folgende Artikel gibt Einblick in den «work in progress» des Forschungsprojektes «Lebens- und Berufsverläufe von SoziologInnen der Universität Zürich» der Autorin. Sie zeigt darin Lebens- und Berufsverläufe von Soziologinnen und Soziologen auf, die ihr Studium zwischen 1970 und 1999 mit einem Lizentiat an der Universität Zürich abgeschlossen haben. Ihr besonderes Interesse gilt den Soziologinnen, deren Lizentiatsarbeiten auch der Frauen- und Geschlechterforschung zugeordnet werden können.

SOZ-MAG-Beitrag von Regina Scherrer Käslin

Seit Frauen die Universität durch die Hintertür betreten haben, ist das ’akademische Frauensterben’ eine Tatsache. Dahinter steht die These, dass die Karrierechancen von Akademikerinnen innerhalb und ausserhalb der Universität bis heute signifikant geringer sind als diejenigen der gleichqualifizierten Akademiker. Frauen in status- und prestigehohen Positionen in Wissenschaft und Forschung sind bekanntlich rar. Die Soziologie ist eine junge Wissenschaftsdisziplin und das Zürcher Institut wurde erst 1966 gegründet. Die Frauen mussten hier nicht, wie an der Universität, zur Hintertür eintreten. Trotzdem: ’Akademisches Frauensterben’ existiert auch in unserer Disziplin und weist auf die Existenz informeller Aufstiegsbarrieren hin. Offen diskriminierende Praktiken sind in den Untergrund gesickert und scheinen nur noch partiell durch. So meint Ursula Müller, Professorin für sozialwissenschaftliche Frauenforschung an der Universität Bielefeld: Das Argument, wissenschaftliche Arbeit widerspreche der weiblichen Wesensart, laute in der modernisierten Version, eine kluge Frau werde den aufreibenden und undankbaren Professorenberuf ablehnen und ein ausgewogeneres Leben zwischen Familie, Freizeit, Hobbys und Beruf vorziehen.

Forschungsinteresse

Das Ziel meines Forschungsvorhabens ist die Rekonstruktion und Dokumentation der Berufs- und Lebenswege von Soziologinnen der Universität Zürich, die ihr Studium zwischen 1970 und 1999 mit einem Lizentiat abgeschlossen haben. Dabei gilt mein besonderes Interesse den Soziologinnen, deren Lizentiatsarbeiten auch der Frauen- und Geschlechterforschung zugeordnet werden können. Haben sie im Vergleich zu traditionell arbeitenden Soziologinnen andere Berufs- und Lebensverläufe? Betrifft sie das ’akademische Frauensterben’ gleich doppelt? Erstens als Frauen und zweitens als Frauen- und Geschlechterforscherinnen?

Wissenschaftsforschung und Frauenforschung bilden den theoretischen Rahmen meiner Forschungsarbeit. Grundsätzlich sollen diese Theorien die meinem Forschungsprojekt zu Grunde liegenden Fragen erklären helfen. Versucht wird, erstens den gender bias bezüglich der Verwertung des Hochschulabschlusses in eine qualifikationsadäquate Erwerbstätigkeit bei den AbsolventInnen des Soziologischen Instituts Zürichs nachzuweisen. Zweitens fokussiere ich die Subgruppe der Geschlechterforscherinnen bzw. ihren Grad der Integration in den Arbeitsmarkt im Vergleich zu den mainstream-SoziologInnen und drittens den etwaigen Wandel bezüglich gender bias und Integrationsgrad in den letzten 30ig Jahren.

Vorgehensweise und Datenerhebung

Aufgrund der quantitativen Ausrichtung der Untersuchung und ihrer Fragestellung, der konsultierten Fachliteratur sowie der zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Ressourcen, entschied ich mich für eine schriftliche Befragung. Diese ist im Vergleich zu anderen Erhebungsinstrumenten kostengünstig, relativ einfach durchzuführen und personell weniger aufwendig. Ein Schwachpunkt ist die Rücklaufquote, die bei schriftlichen Befragungen oft enttäuschend tief ist.

Ausgangspunkt bilden alle Lizentiatsarbeiten der 70er, 80er und 90er Jahre des Soziologischen Institutes in Zürich. Die Kontaktaufnahme mit den AutorInnen wird zur ersten Knacknuss meiner Forschungsarbeit. Aufgrund von Mobilität, Datenschutzmassnahmen und wahrscheinlich auch Mortalität, gestaltet sich die Erstellung einer aktuellen Adresskartei ziemlich schwierig. Trotz erheblichem zeitlichem Aufwand ist es mir nicht gelungen eine vollständige, aktuelle Adresskartei zu erstellen. Von den 414 gesuchten AbsolventInnen bleiben über die ganze Zeit meiner Feldforschung 23 unauffindbar.

Ausgangspunkt zur Konstruktion des Fragebogens bildete nachfolgendes Schema mit den mir relevant erscheinenden Kriterien.

lebenslaeufe

Aufgrund obiger Kriterien, aktueller Literatur zur Konstruktion eines Fragebogens und dem Konsultieren verschiedener Fragebogen zu ähnlichen Thematiken, erarbeite ich einen 20ig seitigen Fragebogen. Er ist das Ergebnis einiger Überarbeitungsrunden aufgrund von Pre-Tests und Diskussionen mit ExpertInnen. Diese Forschungsphase erweist sich als äusserst arbeitsintensiv, langwierig und lehrreich. Ohne die gute Unterstützung meiner Betreuungsperson am Institut, Irene Kriesi, hätte ich spätestens zu diesem Zeitpunkt mein Vorhaben aufgegeben.

Die Mehrheit der Fragen sind sogenannte ’Hybridfragen’, die nebst geschlossenen Antwortkategorien jeweils eine offene Antwortmöglichkeit vorsehen (vgl. Diekmann 1999). Rund ein Drittel aller Fragen sind ’geschlossene Fragen’ mit vorgegebenen Antwortkategorien und eine Minderheit unter den Fragen bilden die ’offenen Fragen’ ohne Antwortkategorien.

Am 16. Mai 2002 werden die 391 Fragebogen versendet. Die Rücklaufquote wird hoch eingeschätzt. Einerseits weil das Soziologische Institut bzw. Frau Prof. Marlis Buchmann und Irene Kriesi meine Umfrage mit einem Begleitbrief unterstützen und andererseits weil bei homogenen Zielgruppen mit gutem Bildungsniveau, wozu die AbsolventInnen des Soziologischen Instituts gehören, üblicherweise mit einer hohen Beantwortungsrate gerechnet werden kann.

Am 11. Juni wird ein erstes Erinnerungsschreiben verschickt. Da der Fragebogen inzwischen auf der ’Website’ des Soziologischen Instituts im Internet abrufbar ist, wird auf das Beilegen einer Papierversion verzichtet. Erstens senkt das die materiellen und oekologischen Kosten und zweitens ist von ausgebildeten SoziologInnen zu erwarten, dass sie problemlos Zugang zum Internet haben. Im Brief ist natürlich der Ort und das nötige Passwort zum ’Download’ vermerkt. Das zweite Erinnerungsschreiben erfolgt wegen den Sommerferien erst am 22. August 2002.

Rücklaufquote

Im Vergleich zu anderen AbsolventInnenstudien ist diese Rücklaufquote mit 65 Prozent im erwarteten Rahmen. Zum Beispiel erreichte Helmut Kromrey in seiner Studie «Diplom-Soziologie – und was dann?“ in der AbsolventInnen des Diplomstudienganges Soziologie von 1991 bis 1996 an der Freien Universität Berlin befragt wurden, eine Rücklaufquote von rund 58 Prozent (57,9%). In einer erst kürzlich abgeschlossenen Studie der Universität Mannheim wurde eine Rücklaufquote von rund 70 Prozent (70,3%) erreicht. Allerdings wurden hier AbsolventInnen der Sozialwissenschaften (d.h. Dipl.-Psychologie, Dipl.-Soziologie, Dipl.-Sozialwissenschaften, Magister- und Lehramtsstudiengänge in Politik und Soziologie) von 1990 bis 2000 befragt. Vergleichen mit der vorliegenden Umfrage lassen sich diese beiden Studien jedoch nur bedingt. Einerseits ist der Zeitraum der einbezogenen Abschlussjahrgänge um einiges geringer, andererseits stehen hinter den jeweiligen Studien ganze Forschungsteams mit etlich mehr personellen und finanziellen Ressourcen. Beide Faktoren dürften sich m.E. positiv auf die Rücklaufquote auswirken.

Problematik Anonymität, Motivation und Erinnerungsfähigkeit

„Das mit meiner Soziologie ist zu lange her. Das einzige, was ich dort nachhaltig gelernt habe, ist nie einen Fragebogen auszufüllen, wenn ich nicht gezwungen werde.“ Der Antwortverweigerer R.T. spricht zwei Problemfelder retrospektiver Befragungen an. Erstens die Problematik der langen Zeitspanne zwischen dem Hauptereignis der Befragung, hier Studienabschluss und zweitens die Problematik der Motivation einen Fragebogen auszufüllen. Letzteres konnte nicht stark beeinflusst werden, da keinerlei ’Belohnungen’ offeriert werden konnten. Motivierend wirken konnte nur die Erinnerung an eine ’gemeinsam’ verbrachte Zeit und eine gewisse Loyalität zum Soziologischen Institut. Das Problem des Erinnerns weit zurückliegender Ereignisse beeinflusst die Zuverlässigkeit der erhobenen Daten. Je weiter ein Ereignis zurückliegt, desto ungenauer wird es in der Regel erinnert. Einschneidende Ereignisse werden nachgewiesenermassen mit grösserer Zuverlässigkeit wiedergegeben als banale. Der Abschluss eines Studiums und die erste Erwerbstätigkeit danach, einschliesslich der damit verbundenen Umstände, dürften daher relativ korrekt erinnert werden. Darüber hinaus können die Fakten nachgesehen werden, da wichtige Dokumente zu denen die erwähnten Ereignisse gehören, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den persönlichen Unterlagen aufbewahrt werden.

Ein weiterer Problempunkt ist die Anonymität der Befragung. Da es sich um ein relativ kleinen Personenkreis handelt, wäre es theoretisch möglich, aus den Angaben im Fragebogen Rückschlüsse auf einzelne Person zu ziehen und diese mit mehr oder weniger grossem Aufwand zu identifizieren. Das liegt natürlich jenseits meines Interessens. Erstens ist für mein Projekt nicht der Einzelfall von Bedeutung, was bekanntlich auf die meisten quantitativen Analysen zutrifft und zweitens verbietet das meine Ethik als Forscherin. Die Thematik der Anonymität wird von einigen BeantworterInnen angesprochen: «Anonymität ist nicht gegeben, viel zu viele Infos!» und ähnlich lauten die Einwände. Die gefährdete Anonymität der BeantworterInnen und die doch hohe Komplexität des Fragebogens dürften sich negativ auf die Rücklaufquote ausgewirkt haben.

Zwischenbilanz

Mein Fokus liegt, wie oben erläutert, bei den Geschlechterforscherinnen und ihren vermuteten Abweichungen vom ’normalen’ Berufs- und Lebensverlauf. Auf diese Thematik werde ich allerdings erst in meiner Lizentiatsarbeit eingehen. In diesem Zwischenbericht, der auf meiner Forschungsarbeit basiert, gebe ich lediglich einen ersten Einblick in Form von deskriptiven Auswertungen, die sich auf das gesamte Sample beziehen. Dabei konzentriere ich mich auf die Kohorten. D.h. die Daten werden aufgrund der Abschlussjahrzehnte gesplittet und nicht nach Geschlecht. Mein Ziel ist es, einen ’virtuellen’ Raum aufzuspannen, der das gesamte Sample umfasst und innerhalb dem ich später meine fokussierte Zielgruppe platzieren kann.

  • Das Soziologiestudium wird mehrheitlich nicht direkt nach der Matura begonnen.
  • Die Zahl der Personen, die ihr Studium nicht mit eigener Erwerbsarbeit teilweise finanzierten, stagnierte über die letzten drei Jahrzehnte. Im Gegensatz dazu, stieg die Anzahl der ’WerkstudentInnen’ im gleichen Zeitraum überproportional an und erreicht in der 1990er Kohorte 88 Prozent.
  • Das Soziologiestudium wird mehrheitlich nicht direkt nach der Matura begonnen.
  • Beendeten in den 1970er Jahren noch fast 60 Prozent ihr Studium nach 6 Jahren, sinkt dieser Anteil in den 1990er Jahren auf rund 30 Prozent. Dies ist einerseits auf die oben erwähnte Zunahme der regelmässigen Erwerbsarbeit während dem Studium und andererseits auf die Verschlechterung der Betreuungsverhältnisse für die Studierenden zurückzuführen.
  • 55 Prozent der Befragten geben an, seit dem Studienabschluss kontinuierlich erwerbstätig zu sein. Zur Zeit der Erhebung waren nur gerade 8 Personen nicht erwerbstätig, drei davon arbeitslos.
  • Ein gutes Beziehungsnetz zu haben, beeinflusst den Eintritt in den Erwerbsmarkt sehr positiv.
  • Rund 27 Prozent sind zur Befragungszeit in der Wissenschaft tätig, 15 Prozent im Beschäftigungsbereich ’Beratung, Banken, Treuhand’, 14 Prozent in der öffentlichen Verwaltung, 8 Prozent im Bereich Unterricht und ebenso viele im Bereich ’Kultur, Unterhaltung, Medien’.
  • Ein Hochschulabschluss für die aktuelle Arbeitsstelle war für rund 25 Prozent nicht nötig. Für 75 Prozent hingegen eine Voraussetzung und davon für rund 29 Prozent im Studienfach d.h. in Soziologie.
  • Über die Hälfte (55%) haben zur Zeit der Befragung ein Arbeitspflichtpensum von weniger als 40 Stunden pro Woche. Allerdings ist die tatsächlich geleistete Arbeitszeit um einiges höher als die vereinbarte.
  • 48 Prozent geben an eine nicht-leitende Position inne zu haben, 28 Prozent sind in leitender Position und 9 Prozent als ManagerIn / DirektorIn tätig. Selbständig sind zur Zeit der Befragung 15 Prozent.
  • Die Bandbreite der angegebenen monatlichen Nettoeinkommen ist gross. ’Spitzenlöhne’ erzielen Personen der 1980er Abschluss-Kohorte.
  • 180 AbsolventInnen haben nach ihrem Studium eine zusätzliche zertifizierte Ausbildung absolviert. 59 promovierten, (11 habilitierten), 19 machten ein Zweitstudium, 20 ein Nachdiplomstudium und weitere 82 Personen eine andere zertifizierte Ausbildung.

Zur Zeit ist der „work in progress“ meines Projektes ins ‘stottern‘ geraten. Ein Problem ist der enttäuschende Rücklauf (51%) meiner fokussierten Subgruppe. Einerseits mag dies am quantitativen Fragebogen liegen und andererseits an der eher geringeren Identifikation mit dem Soziologischen Institut. Trotzdem hoffe ich, dass es mir in meiner Lizentiatsarbeit möglich sein wird, das Auftreten der Geschlechterforscherinnen in der Disziplin Soziologie an der Universität Zürich zu dokumentieren, ihre Resonanz innerhalb und ausserhalb der Universitäten zu erforschen und sie mit den mainstream Soziologinnen zu vergleichen; die Soziologen dienen als ’Hintergrundsfolie’. Ferner fühle ich mich von der Flut der Daten etwas ‚erschlagen‘ und unsicher, wie ich mein Forschungsprojekt zu Ende bringen kann. Aber wie formuliert Rheinberger doch so schön: „Das Ziel des Forschungsprozesses ist es, etwas zu produzieren, das definitionsgemäss nicht in einer -ziel-gerichteten Weise produziert werden kann. Das Unbekannte ist etwas, das nicht geradlinig angesteuert werden kann, weil man eben nicht weiss, was man ansteuern soll.“ (Rheinberg, Hans-Jörg 1992). Trotz der momentanen Zweifel nehme ich mir vor, die Universität nicht zur Hintertür zu verlassen sondern zur Vordertür – nach abgeschlossenem Studium.

Regina Scherrer Käslin ist Familienfrau und Teilzeitstudentin an der Universität Zürich, wo sie Soziologie, Sozialpädagogik und Geschichte studiert. Ausführlichere deskriptive Ergebnisse ihrer Untersuchung werden in Kürze auf der Homepage des Soziologischen Instituts Zürich veröffentlicht.

Literaturauswahl

Brüderl, Josef; Reimer, David (2002): Soziologinnen und Soziologen im Beruf. Ergebnisse ausgewählter Absolventenstudien der 90er Jahre. In: Stockmann, Reinhard et al. Soziologie im Wandel. Universitäre Ausbildung und Arbeitsmarktchancen in Deutschland. Leske + Budrich, Opladen. S. 199 – 215.

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«Savoir pour prévoir et prévoir pour pouvoir.»

Auguste Comte, Leitsatz positivistischer Soziologie