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soziologie.ch soz:mag#7 böse, gewalttätige mädchen

böse, gewalttätige mädchen

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Eine Untersuchung spezifisch weiblicher Bandenkriminalität

Gewaltanwendung unter männlichen Jugendlichen ist zwar verwerflich, gilt aber dennoch als Ausdruck von Männlichkeit. Mädchen hingegen, die sich in gewalttätigen Mädchenbanden formieren, werden als Abweichlerinnen betitelt und stark mit Stereotypen behaftet. In ihrer Lizentiatsarbeit "Eine Untersuchung über weibliche Streetgangs in der Schweiz" hat sich die Autorin mit solchen Mädchen beschäftigt.

SOZ-MAG Beitrag von Simona De Berardinis

Die Gewaltbereitschaft Jugendlicher bereitet in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit grosses Aufsehen. Die Medien berichten fast täglich über Raubüberfälle, Schlägereien und Diebstähle durch Jugendliche. Die Aufmerksamkeit der Medien erregen neuerdings auch gewalttätige Mädchen und Frauen, denen dramatisierende Schlagzeilen und Artikel wie „Böse Mädchen: Sie saufen, sie rauchen und sie kiffen“ oder „Statt Küsse gibt’s was auf die Nüsse“ (Blick, 24. April 2003) gewidmet werden. Diese öffentliche Sensibilisierung geht einher mit einer Vielzahl von Projekten gegen jugendliche Gewalt sowie repressiven Massnahmen (Erhöhung der Anzahl von privatem Sicherheitspersonal als Massnahme gegen „Schlägerbanden“).

Gewalttätige Mädchen, welche insbesondere in Mädchenbanden tätig sind, stellen in unserer Gesellschaft ein Tabu dar, weil sie nebst Recht und Moral auch Geschlechterrollenstereotypen verletzen und dem Bild des braven, angepassten, friedliebenden und vor allem häuslichen Mädchens widersprechen. Vermutlich aus Hilflosigkeit und Mangel an adäquaten Theorien und Forschungsresultaten werden solche Mädchen mit Etiketten wie „Mannsweiber“ oder dergleichen versehen. Die Fokussierung der Medien auf diese Minderheit von gewalttätigen Mädchen verzerrt das Bild des tatsächlichen Phänomens. Der Anteil der Mädchen und Frauen an der Gesamtkriminalität in der Schweiz beträgt ca. 15 Prozent, der an „Gewaltdelikten“ ist nochmals geringer. Die Darstellung der Medien zur Klärung dieses Phänomens ist weder hilfreich, noch förderlich. Wenn über weibliche Jugendliche als Bandenmitglieder berichtet wird, dann meistens aus der Sichtweise der männlichen Jugendlichen, welche in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe aktiv sind; sie stellen die Mädchen als Mitläufer, sexuelle Objekte und als passiv dar. Vermutlich werden meistens die männlichen Mitglieder einer Bande befragt, denn „Bandenmädchen“ sind – wie ich aus eigener Erfahrung feststellen konnte – schwer aufzuspüren. Was ist aber nun mit Mädchen, die in reinen Mädchenbanden gruppiert sind? Dass hier andere Regeln, Eintrittsgründe und Verhaltensweisen vorherrschen müssen, ist anzunehmen. Schon alleine die statistisch ungleichen Deliktsverteilungen zwischen Mädchen und Jungen lassen vermuten, dass es Unterschiede geben muss.

Ein Forschungsüberblick

Die Forschungstradition über Streetgangs begann in den USA mit dem Werk „The Gang“ (1927) von Frederic Trasher. Diesem Werk folgten viele andere Abhandlungen, in denen aber weibliche Bandenpartizipation kaum thematisiert wurde – die Bedeutung weiblicher Streetgangs wurde als gering erachtet. Eine Änderung diesbezüglich zeichnete sich erst Mitte der 1970er Jahre ab, als Freda Adler ihr Werk „Sisters in Crime“ (1975) lancierte. Sie wertete die Gewaltkriminalität von Frauen in den USA als Zeichen der wachsenden Emanzipation. Die These, wonach die Emanzipation der Frau das kriminelle Potential der Frau freisetze, wurde zur Diffamierung der Frauenbewegung eingesetzt. Die Emanzipationsthese von Adler wurde vielseitig diskutiert und mehrfach widerlegt. 1984 erschien Campbells Buch über New Yorker Frauengangs „The Girls in the Gang“, welches eine neue Denkrichtung über diese Problematik eröffnete; Campbell argumentiert, dass bisher nur männliche Forscher über Frauengangs geschrieben haben und daher von ihren eigenen geschlechtsspezifischen Gewohnheiten irregeführt worden und vorurteilsbehaftet sind.

In Europa konzentrierten sich die theoretischen Ansätze und Erklärungsmodelle vor allem auf die Fragestellung, wieso Mädchen und junge Frauen seltener gewalttätig oder kriminell sind als männliche Jugendliche; dies vermutlich aufgrund der Unterrepräsentanz von Mädchen in den Kriminalstatistiken.

Ergebnisse der Sozialisationsforschung zeigen, dass sich das Verhalten von Mädchen an rollenstereotypen Erwartungen orientiert, welche von ihnen Anpassung, Fürsorglichkeit und Unterordnung in die Geschlechterhierarchie fordern. Aggressive Äusserungen werden bei Mädchen häufig unterdrückt, und ihr aggressives Verhalten wird sanktioniert. Bei Jungen hingegen gelten offene Aggressionen als normal. Die Unterrepräsentanz von Mädchen und Frauen in den Kriminalstatistiken wird auf im Sozialisationsprozess erfolgreich internalisierte weibliche Verhaltensnormen zurückgeführt. Derartige Erklärungsansätze wurden unter machttheoretischen Perspektiven kritisiert und führten zur Entwicklung von femi-nistisch–sozialstrukturellen Interpretations-modellen, welche die Diskriminierung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen und Schichten in den Mittelpunkt stellten. Geschlechtsrollenstereotype Verhaltens-anforderungen, mit denen sich Mädchen in ihrer Sozialisation konfrontiert sehen, werden hier als Mechanismen thematisiert, die in gesellschaftlichen Normen und Werten geronnene Geschlechterhierarchien aufrechterhalten und reproduzieren. Die geringe Delinquenz von Mädchen wird in diesem Kontext als Ausdruck einer spezifisch weiblichen Problemlösungsstrategie verstanden, die unter dem Druck gesellschaftlicher Chancen-strukturen, männlicher Verführungs- und Dominanzansprüche, Verhaltenserwartungen und sozialer Kontrolle entstehen: Gewaltausübung gilt gesellschaftlich als Ausweis von Männlichkeit.

Rollen- und sozialisationstheoretische sowie schliesslich femi-nistische Erklärungsmodelle haben frühere biologische und ontologische Interpretationsmodelle abgelöst und dazu beigetragen, dass die Bedeutung von Geschlecht als Strukturkategorie in seinem Einfluss auf Gewaltdelinquenz in das Blickfeld der Forschung rückte. Mit der Konzentration auf die Fragestellung, warum Mädchen und junge Frauen seltener gewalttätig respektive kriminell werden als Jungen und junge Männer, ging jedoch einher, dass sich Erklärungsansätze primär auf die Herausarbeitung typisch weiblicher und männlicher Sozialisations- und Lebensbedingungen richteten, Differenzen innerhalb der Geschlechtergruppen vernachlässigt und Übereinstimmungen zwischen ihnen nicht mehr wahrgenommen wurden. Neuere konstruktivistische Ansätze gehen hingegen über Fragestellungen des blossen Geschlechtervergleichs hinaus.

Der Erklärungsansatz von Conrads und Möller (1995, 269ff.) bezieht sich auf die Herleitung von Jugendgewalt als Reaktion auf zunehmende Desintegrations- und Individualisierungsprozesse, die im Rahmen einer quantitativen Untersuchung der Bielefelder Forschungsgruppe um Heitmeyer entwickelt wurde. Im Mittelpunkt steht die Annahme, dass Gewalttätigkeit einhergeht mit Gefühlen der Überforderung angesichts zunehmender Handlungsoptionen bei gleichzeitigem Verlust emotionaler Unterstützung und fehlenden Ressourcen zur Realisierung sozialer Chancen. Aus einer geschlechterdifferenzierten Sicht leiten sich Desintegrationserfahrungen und Verunsicherungsgefühle bei Mädchen und Frauen aus Beschränkungen bei der Realisierung von Lebenschancen ab, denen Ungleichzeitigkeiten in den gesellschaftlichen Entwicklungen und geschlechtsspezifische Diskriminierungen im Produktions- wie Reproduktionsbereich zugrunde liegen. Conrads und Möller formulieren die Hypothese, dass derartige Desintegrationserfahrungen und Verunsicherungs-gefühle eng mit gewalttätigem Verhalten sowie gewaltaffinen und gewaltbereiten Einstellungen verknüpft sind. Modernität beinhaltet, dass weibliche Jugendliche aggressive Einstellungs- und Verhaltensmuster übernommen haben, die ehemals männlichen Jugendlichen vorbehalten waren.

Die sozialwissenschaftliche Forschung hat in früheren Jahren die Jugendgewalt geschlechtsunspezifisch untersucht; in jüngster Zeit bemühen sich jedoch diverse Studien, diese Differenzen zu berücksichtigen. Nur sehr wenige Untersuchungen aber wählen Mädchen und weibliche Jugendliche als (Haupt-)Zielgruppe. Theorien über die spezifisch weibliche Delinquenz von Mädchen und jungen Frauen aus einer geschlechtsspezifischen Sichtweise fehlen im deutschen Sprachraum. In der Schweiz existierte bisher keine einzige Studie über Mädchenbanden. Ziel meiner Untersuchung war, den Fokus auf die Mädchen zu legen und sie selber zu Wort kommen zu lassen. Meines Erachtens war es wichtig, mit den Mädchen ins Gespräch zu kommen, um die Besonderheit der weiblichen Gewalttätigkeit in reinen Frauengruppierungen zu verstehen. Der Zugang zu den Mädchen gestaltete sich als sehr schwer: die Mädchen waren weder sicht-, noch auffindbar. Ich habe fünf qualitative Interviews durchgeführt, welche ich anschliessend mit der zusammenfassenden Inhaltsanalyse und der biographischen Methode ausgewertet habe. Meine Ergebnisse verglich ich mit anderen Forschungsresultaten (v.a. aus den USA). Durch den Vergleich mit anderen Studien liessen sich Tendenzen festlegen, welche im folgenden Abschnitt als eine zusammenfassende Darstellung meiner Ergebnisse zu lesen sind.

Mädchenbande als Ersatzfamilie

Wieso treten junge Mädchen in eine Bande ein? Und welche Bedeutung hat diese für sie? Mädchen schliessen sich meistens einer gewaltbereiten, geschlechtshomogenen Bande an, weil sie grosse Ambivalenzen und Druck im familiären, schulischen und ökonomischen Bereich empfinden. In ihrer unglücklichen Lage suchen sie Schutz und Geborgenheit in der Bande; physischer, emotionaler und sexueller Missbrauch, schulische Misserfolge und eine schlechte finanzielle Lage können im Gruppenverband kompensiert werden. Diese schweren Probleme belasten sie in der an sich schon schwierigen Phase der Adoleszenzkrise und lösen Verunsicherungen bei den Mädchen aus. Neue Bindungen werden gesucht, um Halt und Sicherheit zu erlangen. In der Bande können die Mädchen Gefühle der Frustration mit anderen Leidensgenossinnen teilen und dem Gefühl der Einsamkeit entfliehen. In den Bandenfreundinnen finden sie Vertrauenspersonen, welche sich durch Verschwiegenheit und Loyalität auszeichnen. Die Mädchenbande ist in erster Linie eine Peer Group. Sie erfüllt wichtige Entwicklungsfunktionen im Leben der Mädchen. Die Peer Group kann zur Orientierung und Stabilisierung beitragen und emotionale Geborgenheit gewähren. Insbesondere hilft sie, das Gefühl der Einsamkeit zu überwinden, welches die Mädchen aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen wie auch der einsetzenden Selbstreflexion in der Adoleszenzphase entwickeln. Ferner bietet sie Freiraum für die Erprobung neuer Verhaltensweisen und Möglichkeiten. Sie hat eine wichtige Funktion in der Ablösung von den Eltern und hilft zur Entwicklung von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Die Peer Group ermöglicht die Reflexion und Rebellion gegen die Normen und Werte der dominierenden Kultur. Dies ist ein wichtiger Prozess in der Adoleszenzphase. Sie dient zur Identitätsfindung, indem sie Identifikationsmöglichkeiten, Lebensstile und Bestätigung der Selbstdarstellung bietet. Die Mädchenbande erfüllt des Weiteren auch die Funktion der „Ersatzfamilie“ und des „Refugiums“. Die Mitglieder der Mädchenbande werden zu den wichtigsten Bezugspersonen des einzelnen Mädchens. Die Bande bedeutet in diesem Zusammenhang ein Substitut für viele nicht erfüllte Bedürfnisse. Die Gewaltanwendung ist meistens nur Mittel zum Zweck, mit dem ein Image aufgebaut wird, welches Aggressoren fern hält. Die Gewaltanwendung dient oft zum Schutz des kostbaren Gutes „Mädchenbande/Ersatzfamilie“.

Geschlechtskonstruktion in der Bande

Wie wird Weiblichkeit in der Bande konstruiert? Die Weiblichkeitskonstruktion in einer Mädchenbande erfolgt über die starke Ablehnung von Normen und Regeln der dominierenden Kultur. Diese ablehnende Haltung entsteht aufgrund von Opfererfahrungen und der Einsicht, dass Mädchen und Frauen in einer zweigeschlechtlichen, patriarchalischen Gesellschaft in ihrem Handlungs- und Bewegungsradius beeinträchtigt, in ihren Lebensverwirklichungen diskriminiert sind und als „zweites Geschlecht“ gelten. Die Mädchen können diese ablehnende Haltung und Rebellion gegenüber dem Patriarchat entwickeln, indem sie in der Bande Unterstützung durch Gleichgesinnte finden. Die Gewaltanwendung macht aus den Mädchen keine „neuen Frauen“. Sie wenden Gewalt u.a. an, weil sie im unterdrückenden System des Patriarchats gelernt haben, dass dies das einzige effektive Mittel ist, um sich zu wehren. Die Mädchen lehnen jedoch typisch weibliche Verhaltensweisen nicht ab und kreieren somit nicht eine völlig neue Weiblichkeit. Sie setzen sich für Gleichberechtigung der Frauen ein und können diesem Anliegen Ausdruck verleihen, indem sie im Gruppenverband agieren und sich gegen alle degradierenden Angriffe schlagkräftig wehren. Die Bande hat in diesem Sinne eine positive Wirkung auf die Mädchen; sie lernen, sich von ihrer Opferposition zu befreien und sich aktiv zu schützen. Sie verleiht ihnen typisch männliche Konfliktlösungsstrategien und Eigenschaften wie Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Stärke und Aktivität (vs. weibliche Eigenschaften wie Passivität, Verständnis, ängstliche Haltung). Die Bande befähigt ihre Mitglieder, sich stärker und selbstbewusster durch die männerdominierte Ordnung zu bewegen, auch wenn dies durch das Erlernen von typisch männlichen Eigenschaften geschieht. Die negativen Aspekte der Bande sind die Delinquenz und das erhöhte Risiko, erneut Opfer von Übergriffen zu werden.

Die „Freiheitsfalle“

Es scheint, dass sich Mädchen durch die zunehmende Gleichberechtigung der Geschlechter in modernen Gesellschaften Statussymbole und -ansprüche zu Eigen machen. Von den neu gewonnenen Freiheiten und Ansprüchen von Frauen profitieren aber nur diejenigen, die über die nötigen Netzwerke und materiellen Ressourcen verfügen. Die anderen, die diese Freiheiten und Ansprüche zwar propagieren, aber dann keinen Zugang dazu erhalten, müssen andere Wege finden. In diesem Sinne würde es sich dann um eine „Freiheitsfalle“ handeln, die in Verflechtung mit den Individualisierungsschüben vor allem jene gefährdet, welche über zu wenig Mittel und Ressourcen verfügen.

Man kann vermuten, dass das Anstreben von Respekt durch eine abschreckende Wirkung als Schutzmechanismus vor Angriffen eingesetzt wird. Um dem Risiko zu begegnen, Opfer von Übergriffen von fremden oder bekannten – bzw. verwandten – Männern zu werden, wenden die Mädchen eine Einschüchterungsstrategie an; sie arbeiten bewusst an ihrem Image der „gefährlichen, irren Mädchen“, denen man besser aus dem Weg geht. Abschreckung als beste Angriffsmethode. Dass die Mädchen Gewalt anwenden, um eine Abschreckung zu erzielen oder gewonnene Freiheiten tatsächlich nutzen zu können, spricht für eine vordergründige, nur scheinbare Befreiung der benachteiligten Position von Frauen in der Gesellschaft. Indem sie sich nämlich „abweichender“ Verhaltensweisen bedienen müssen, um ein Gefühl der Freiheit zu erlangen, sind sie erneut Opfer von indirekten, nicht sichtbaren ungleichen Machtverteilungen in einem patriarchalischen System. Nur eine Reform der Sozialisationsinstanzen (Familie, Schule, Medien etc.) könnte dies bewirken. Um es in den Worten von Bourdieu auszudrücken: Es müsste eine Reform oder gar Revolution des Habitus stattfinden, damit die bestehenden Machtstrukturen gesprengt werden können.

Fazit

Aufgrund obiger Überlegungen lässt sich folgende These aufstellen: Die Partizipation in einer Mädchenbande hat zwei Funktionen für die Betroffenen. Einerseits handelt es sich um eine äussere Funktion; die Abschreckung durch das Image der Bande hält potentielle Täter fern, die Mädchen können sich von ihrer Rolle als Opfer befreien. Dies bedingt jedoch, dass sie delinquente Verhaltensweisen anwenden müssen. Im Verlaufe ihrer Sozialisation haben sie nämlich gelernt, dass eine expressive Repräsentation von Aggressionen im Sinne von Campbell (1984) zur Durchsetzung von Forderungen wenig dienlich ist. Es muss nicht nur ein Ruf und Image der gefährlichen Mädchen aufgebaut, sondern auch aufrecht erhalten werden. Auch verbale Angriffe müssen mittels Gewaltanwendung zerschlagen werden, um den Ruf der Unantastbaren zu stabilisieren.

Die innere Funktion der Bande ist die schwesterliche Gemeinschaft. Die Bande bietet Mädchen, welche unter Beziehungsverlusten leiden, ein Refugium. Hier haben sie die Möglichkeit, neue Beziehungen aufzubauen, was für ihre Sozialisation sehr wichtig ist. Die Wahl einer Mädchenbande bedingt nicht eine männerfeindliche Haltung, kann jedoch für Mädchen, die Opfer von männlichen Übergriffen geworden sind, eine gewisse Schutzfunktion haben. In der Interaktion mit anderen Mädchen kann das Geschlecht konstruiert werden. Die Partizipation in einer Mädchengang ist somit nicht nur ein Akt der Rebellion, sondern dient auch der Lebensbewältigung.

Es ist mir abschliessend ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass die Gewaltanwendung in Mädchengangs nicht durch ihre strukturelle Erklärung verharmlost werden darf. Allerdings meine ich, dass für die Betrachtung der Gewaltanwendung nicht primär die Täterinnen im Fokus stehen sollten, sondern die gesellschaftlichen Umstände, welche zu gewalttätigen und devianten Reaktionen führen.

Simona De Berardinis hat an der Universität Freiburg i. Ue. Sozialarbeit und Sozialpolitik, Soziologie und Jura studiert. Ihre Lizentiats-arbeit schrieb sie über weibliche Street-gangs in der Schweiz. Sie arbeitet heute als Sozialarbeiterin beim Sozialdienst der Stadt Bern und ist Aktivmitglied von Terre des Hommes Schweiz.

Literatur

Bourdieu, P. (1992): Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg.
Bruhns, K. und Wittmann, S. (2002): Ich meine, mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen. Opladen.
Campbell, A. (1984): The Girls in the Gang. Cambridge.
Chesney-Lind, M. und Hagedorn, J. (1999): Female Gangs in America. Chicago.
Curry, D. und Decker, S. (2003): Confronting Gangs. Missouri.
De Beauvoir, S. (1992) : Das andere Geschlecht. Hamburg.
Mischau, A. (1997): Frauenforschung und feministische Ansätze in der Kriminologie. Pfaffenweiler.

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«Ich habe natürlich nie völlig unrecht.»

Michel Foucault (2006): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Suhrkamp, S. 78.