Das Gesetz von Angebot und Nachfrage auf dem Partnermarkt
Was haben sinkende oder steigende Geburtenzahlen mit der Chance zu tun, einen Lebenspartner zu finden? Einiges! Raphael Weiss hat im Rahmen einer Fachprogrammsarbeit theoretische Überlegungen zum Partnerschaftsverhalten am Beispiel der Schweiz empirisch überprüft. Das Ergebnis ist überraschend: Sinkende Frauenzahlen erhöhen die Heiratswahrscheinlichkeit bei Männern.
SOZ-MAG Beitrag von Raphael Weiss
Die Geburtenrate in der Schweiz sinkt und liegt schon seit Anfang der 70er Jahre unter der Reproduktionsrate von 210 Kindern pro 100 Frauen. Das hat Folgen: Aufgrund von Bevölkerungsrückgang und Überalterung der Gesellschaft entstehen viele neue Herausforderungen – von der Rentenfinanzierung bis hin zur Wohnungspolitik. Sinkende Geburtenzahlen bringen aber noch ein ganz anderes Phänomen mit sich: Sie beeinflussen das Partnerschaftsverhalten, indem sie zu Engpässen an potentiellen Partnern führen. Diese werden im vorliegenden Beitrag „Partnerengpässe“ genannt. Dabei konzentriert sich der gewählte Ansatz auf heterosexuelle Beziehungen.
Ein absoluter Partnerengpass besteht, wenn für das eine Geschlecht die Sexualproportion über 1 liegt, d.h. wenn für ein Geschlecht nicht genügend andersgeschlechtliche Partner zur „Verfügung“ stehen. Ein Wert von 1,2 für Männer bedeutet demzufolge, dass auf 120 Männer nur 100 Frauen kommen. Relativ gesehen haben zudem sämtliche Schwankungen der Sexualproportion einen Einfluss auf das Partnerschaftsverhalten, denn eine Veränderung der Geschlechterproportion führt – unabhängig von deren Grösse – zu einer verkleinerten bzw. vergrösserten „Auswahl“ an potentiellen Partnern.
Wie kommt es zu Partnerengpässen?
Bei der Entstehung von Partnerengpässen spielen hauptsächlich drei Faktoren eine Rolle:
1. Die Sexualproportion bei der Geburt: Auf 100 Mädchen werden etwa 105 Knaben geboren (in der Schweiz während der letzten 130 Jahre: 105,5). Somit haben die Knaben bereits durch das Geschlechterverhältnis bei der Geburt eine schlechtere Ausgangslage für die spätere Partnersuche als Mädchen. In der Schweiz gab es während der letzten 130 Jahre bezüglich der Anzahl an Lebendgeburten erhebliche Schwan-kungen. Der Wert pendelte aber im Schnitt um das Niveau von 80‘000 Geburten pro Jahr, obwohl die Bevölkerung im selben Zeitraum auf das Dreifache angewachsen ist (siehe Abb. 1).
2. Unterschiedliche Sterblichkeit der Geschlechter: Die Sterblichkeit der Männer ist in jedem Alter höher als die der Frauen. Diese Tatsache ist neben den biologischen Faktoren auf die andere, im Vergleich zu den Frauen ungesündere Lebensweise der Männer zurückzuführen. Da jedoch in allen industrialisierten Ländern die Sterblichkeit für jedes Alter entscheidend zurückgegangen ist, wird die ungleiche Sexualproportion bei der Geburt bis zum partnerschaftsrelevanten Alter bei Weitem nicht ausgeglichen.
3. Die Altersdifferenz der Partner und eine sinkende Geburtenentwicklung: Zusätzlich zu der für die Männer ungünstigen Geschlechterverteilung bei der Geburt wird der Engpass durch die Alterspräferenz (in der Schweiz haben Männer im Schnitt 2 bis 3 Jahre jüngere Partnerinnen) und eine sinkende Geburtenrate verstärkt: Nachfolgende Frauenjahrgänge sind aus der Sicht der Männer bei einer abnehmenden Geburtenentwicklung noch schwächer besetzt als sie es schon aufgrund der ungleichen Sexualproportion bei der Geburt sind. Bei einem Geburtenanstieg ist natürlich das Gegenteil der Fall und Frauen sind tendenziell eher in der Überzahl.
Berechnung des Partnerengpasses
Zur Berechnung der Partnerengpässe werden in der Regel die männlichen und weiblichen Geburtenzahlen herangezogen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die durch Geburtenzahlen errechnete ungleiche Sexualproportion nicht durch Bevölkerungswanderungen, durch einschneidende Ereignisse (z.B. Krieg) oder andere Faktoren verändert wird, dass die bei der Geburt vorzufindende Geschlechterproportion für eine Generation also über das ganze Leben erhalten bleibt. Daher ist zu erwarten, dass die aufgrund der Geburtsdaten berechneten Partnerengpässe das Partnerschaftsverhalten umso stärker beeinflussen, je stabiler die Geschlechterproportion bzw. je unveränderlicher ein „Partnerschaftsmarkt“ im Zeitverlauf ist.
Aufgrund der absoluten Geburtenzahlen lassen sich die Geschlechterverhältnisse bei der Geburt und die mit einem 2-Jahresabstand behafteten Partnerengpässe ausrechnen. Um z.B. den Partnerengpass für die Männer auszurechnen, dividiert man die Anzahl männlicher Geburten durch die Anzahl weiblicher Geburten zwei Jahre später. Daraus ergibt sich für die Schweiz für die Jahre von 1871 bis 2001 das in Abbildung 2 dargestellte Bild. Der Zeitraum zwischen den Markierungen beinhaltet die Geburtsjahrgänge, für welche bei den nachfolgenden Analysen Daten zur Verfügung stehen.
Der Zeitraum zwischen den Markierungen beinhaltet die Geburtsjahrgänge, für welche bei den nachfolgenden Analysen Daten zur Verfügung stehen.
Die Zuspitzung des Partnerengpasses für die Männer in den 60er und Anfang der 70er Jahre ist die Folge der seit ebenfalls in dieser Zeitspanne rapide sinkenden Geburtenzahlen, bei der die zusammengefasste Geburtenziffer von über 2,5 auf 1,5 sank. Diese Periode wird dabei oft als „Pillenknick“ bezeichnet, weil sie mit der Einführung der Empfängnisverhütungs-Pille zeitlich zusammenfällt. Diese Bezeichnung birgt allerdings die Gefahr, dass andere Einflussfaktoren, wie die starke Bildungsexpansion der Frauen in dieser Zeit, unberücksichtigt bleiben.
Besonders stark ausgeprägte Engpässe für Männer gibt es also, wenn einem geburtenstarken Jahrgang stark niedrigere Geburtenzahlen folgen. Für Frauen gilt die umgekehrte Situation.
Man könnte leicht die Vermutung äussern, dass ein Partnerengpass durch eine Verminderung oder Vergrösserung des Altersabstandes umgangen werden kann. Man wird aber schnell feststellen müssen, dass dies nicht so einfach zu bewerkstelligen ist. Der Altersabstand lässt sich kaum beeinflussen, da die möglichen Partner bereits „vergeben“ sind. Am Beispiel der Männer ist einfach nachzuvollziehen, dass gleichaltrige Frauen oft schon „vergeben“ sind, und so für die Männer praktisch nur Partnerschaften mit jüngeren Frauen in Frage kommen. Der Altersabstand wird von Generation zu Generation weitergegeben. Er ist daher in der Regel sehr unflexibel und verändert sich höchstens bei kurzfristigen Schwankungen der Geburtenzahlen.
Folgen eines Partnerengpasses
Die direkte Folge eines Partnerengpasses ist die eingeschränkte Partnerauswahl. Daneben können Engpässe viele indirekte Auswirkungen haben (grössere Kinderlosigkeit, erhöhtes Trennungsrisiko, vermehrte Heiratsanzeigen, häufigere Paarbeziehungen zwischen SchweizerInnen und AusländerInnen, erhöhte Arbeitsmarktpartizipation usw.). Für unsere Untersuchung von besonderer Bedeutung war folgende Überlegung (siehe Kasten für alternative Erklärungsansätze): Für das Geschlecht, das sich in der Überzahl befindet bzw. einem Partnerengpass ausgesetzt ist, verringert sich die Chance auf eine Partnerschaft. Für das andere Geschlecht hingegen vergrössert sich die Chance in gleichem Masse. Diese Überlegung ist nicht neu. Zum Thema „Marriage Squeeze“, das den Engpass an potentiellen EhepartnerInnen zum Gegenstand hat, existieren bereits eine Reihe von Literaturbeiträgen (z.B. Klein 1993) . Bei unserer Untersuchung der Partnerengpässe in der Schweiz haben wir uns zudem dafür interessiert, ob die Überlegungen, die zu „Marriage Squeeze“ in der Literatur zu finden sind, auch auf das Partnerschaftsverhalten ausserhalb der Ehe zutreffen. Wir haben daher – ergänzend zum Ereignis „Heirat“– untersucht, welchen Einfluss ein Partnerengpass auf die Chance einer „Haushaltsgründung“ hat. Dieser zusätzliche Indikator scheint den heutigen Umständen besser zu entsprechen, da eine Heirat nicht mehr unbedingt zum Selbstverständnis einer erfüllten Partnerschaft gehört.
Datenmaterial und Auswertungsmethode
Für die Analyse wurden die Daten der Untersuchung „Mikrozensus Familie in der Schweiz 1994/95“ des Bundesamts für Statistik verwendet. Befragt worden waren Frauen und Männer (Personen mit Schweizer Staatsbürgerschaft oder mit einer Aufenthaltsbewilligung B oder C) der Jahrgänge 1945-1975. Die erhobenen Daten geben Aufschluss über verschiedene Lebensereignisse der 20 bis 49-Jährigen (z. B. Zeitpunkt der Heirat bzw. Zeitpunkt der ersten Haushaltsgründung). Die interessierende unabhängige Variable des Partnerengpasses wurde jeweils für beide Geschlechter aufgrund der Geburtenzahlen der Schweiz für die entsprechenden Jahre ermittelt.
Ausgehend von der Frage, inwiefern ein Partnerengpass die Chancen einer Partnerschaft fördert, wurden folgende Partnerschaftsformen untersucht: das bis anhin in der „Marriage Squeeze“-Forschung untersuchte Ereignis „Heirat“ sowie als Erweiterung das Ereignis „Haushaltsgründung“. Es wäre zu erwarten, dass sich die Ergebnisse der „Marriage Squeeze“-Forschung auch in dieser institutionalisierten Lebensform wiederfinden.
Die Analysen wurden mit der Methode der Ereignisanalyse (Verlaufsdatenanalyse, Survivalanalyse) durchgeführt. Sie erlaubt einen sinnvollen Umgang mit so genannten „zensierten Fällen“, bei denen zum Befragungszeitpunkt noch kein Ereignis vorliegt (hier: Heirat bzw. Haushaltsgründung). Im Mittelpunkt dieses statistischen Verfahrens steht die Übergangsrate, welche die Wahrscheinlichkeit eines Zustandswechsels in einem kleinen Zeitintervall ausdrückt.
Paradox: Bei Partnermangel heiraten Männer häufiger
Die Untersuchung kam zu folgenden Hauptergebnissen: Bei den Frauen stimmen die Ergebnisse punkto „Heirat“ mit den in der „Marriage Squeeze“-Forschung gemachten Feststellungen deutlich überein: Die Chance auf eine Heirat wird durch einen Partnerschaftsengpass reduziert.
Bei den Männern führte die Analyse beim Ereignis „Heirat“ zum überraschenden und hoch signifikanten Ergebnis, dass ein Partnerengpass die Chancen auf eine Heirat erhöht. Dies kann dadurch erklärt werden, dass Männer den Partnermangel bewusst oder unbewusst erkennen und sich die Partnerin frühzeitig „sichern“, was in der Theorie durchaus als eine mögliche Hypothese vorliegt und auch schon empirisch festgestellt wurde (cf. Angrist 2002) .
Beim Ereignis „Haushaltsgründung“ kann der Effekt eines Partnerengpasses weder bei den Frauen, noch bei den Männern nachgewiesen werden.
Die Frage bleibt, warum sich nur beim Ereignis „Heirat“ ein bemerkenswerter Einfluss eines Partnerengpasses beobachten lässt. Bei den Frauen liegt die Vermutung nahe, dass mit einer Heirat noch immer längerfristige und verbindlichere Erwartungen und Perspektiven verbunden sind als mit einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die Ergebnisse lassen erahnen, dass die Partnerwahl für eine mögliche Heirat viel intensiver geprüft wird, bevor man den Bund fürs Leben schliesst, als bei der Gründung eines gemeinsamen Paarhaushaltes. Es scheint, dass vor allem Frauen sich nicht voreilig auf eine Ehe einlassen, bevor sie nicht den richtigen Partner gefunden haben. Bei einem Partnerengpass gestaltet sich die Suche natürlich schwieriger und die Heiratschancen sind geringer.
Verstärkte Torschlusspanik bei Männern?
Den Männern ist man angesichts der Ergebnisse versucht zu unterstellen, dass sie bei einem Partnermangel die Partnerschaft nicht eingehend prüfen und einfach eine Heirat eingehen, um sich die Partnerin zu „sichern“, was unter dem geläufigen Begriff der „Torschlusspanik“ diskutiert werden kann. Stärker ins Gewicht fallen dürfte aber die Tatsache, dass ein Partnerengpass wahrscheinlich auch einen gewissen Druck auf die Männer ausübt, die (eingehend geprüfte) Partnerin endlich zu heiraten, steht doch zu erwarten, dass ein Partnerengpass die allgemein geringere Eheorientierung der Männer erhöht. Der Mangel an Partnerinnen scheint daher nicht nur die Gelegenheiten, sondern auch die Präferenzen der Männer für eine Partnerschaft zu beeinflussen.
Alternative Erklärungsansätze
Da den untersuchten Ereignissen „Heirat“ und „Haushaltsgründung“ stets ein interaktiver Prozess mit dem Partner vorausgeht, könnten auch ganz andere Erklärungsansätze angewendet werden.
So liesse sich die Erklärung der Auswirkungen eines Partnerengpasses für das eine Geschlecht auch von der Seite des anderen Geschlechts angehen, bedeutet doch ein Partnerengpass für das eine Geschlecht tendenziell einen „Partnerüberfluss“ für das andere. Beispielsweise könnte man die verminderten Heiratschancen für Frauen bei einem Partnerengpass auch dahingehend interpretieren, dass bei den in Unterzahl befindlichen Männern aufgrund der vielen Alternativen die Heiratspräferenz sinkt. Oder man könnte vermuten, dass bei einem Partnerengpass für Männer die in Unterzahl befindlichen Frauen schneller ihren „Traummann“ finden können und so eine Heirat vorantreiben, was dann die erhöhten Heiratschancen auf der Makroebene für Männer ergäbe. Allerdings lassen sich diese Hypothesen anhand der vorliegenden Daten nicht überprüfen, da nicht festzustellen ist, ob die Frau oder der Mann die Initiative für eine Haushaltsgründung bzw. Heirat vorantrieb.
Raphael Weiss hat an der Universität Bern Soziologie und Medienwissenschaften studiert. Der Artikel basiert auf seiner Fachprogrammsarbeit: "Der Einfluss eines Partnerengpasses auf das Partnerschaftsverhalten in der Schweiz" (Bern, Juni 2004).
Literaturauswahl:
Angrist, J. (2002): „How Do Sex Ratios Affects Marriage and Labor Markets: Evidence from America‘s second generation“, in: Journal of Quarterly Economics, S. 997-1038.
Klein, T. (1993): „Marriage Squeeze und Heiratsverhalten“, in: Diekmann, A. / Weick, S. (Hrsg.): Der Familienzyklus als sozialer Prozess. Bevölkerungssoziologische Untersuchungen mit den Methoden der Ereignisanalyse, Berlin, S. 234-258.
Diekmann, A. / Mitter, P. (1984): Methoden zur Analyse von Zeitverläufen, Stuttgart.
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