Ein einstmals überschaubarer Managerkongress wird zum kontroversen Wirtschaftsgipfel
Seit Ende der 90er Jahren werden die Jahrestreffen des World Economic Forum von Protestaktionen und sogar Krawallen begleitet - dabei drängt sich die Frage auf, warum "Davos" erst nach rund 30 Jahren seines Bestehens kritisiert wird. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass das Forum einst eine geschätzte Konsultationsplattform darstellte. Mit dem Einzug der Globalisierungsdebatte gerät das World Economic Forum jedoch in ein Dilemma zwischen seiner Organisationsstruktur und seinem selbst gestellten Anspruch, einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten.
SOZ-MAG-Beitrag von Sabine Alder
Die WTO-Konferenz in Seattle 1999, die Konferenz der Weltbank und des IWF in Prag 2000 oder der G8-Gipfel in Genua 2001 stehen als Symbol eines gesellschaftlichen Konflikts: Seit Ende der 90er Jahren werden die Gipfeltreffen Internationaler Organisationen zum Anlass für Protestaktionen. Die Kritik der Gegner richtet sich gegen eine neoliberale Globalisierung - eine der reinen Profitmaximierungs-Logik folgenden Globalisierung, obwohl eine andere Gestaltung des Prozesses möglich wäre - sowie gegen jene Akteure, die diese Form der Globalisierung durchsetzen, kraft ihres Amtes als Führer transnationaler Konzerne oder als Regierungschefs der wirtschaftsstärksten Länder.
Ins Schussfeld der Antiglobalisierungs-Bewegung sind auch die Jahrestreffen des World Economic Forum in Davos geraten. Anders als die öffentlich-politischen Konferenzen Internationaler Organisationen wie die WTO handelt es sich hier um eine private Organisation, die seit 1971 jährlich Wirtschaftsführer und Politiker zu einem informellen Treffen einlädt und zentrale wirtschaftliche und politische Schlüsselthemen diskutiert. War das WEF bis Mitte der 90er Jahren der breiten Öffentlichkeit kaum ein Begriff, änderte sich das spätestens als die Demonstrationen gegen das WEF im Jahr 2001 zu äusserst gewalttätigen Krawallen in Zürich ausarteten. Die Kritik gegen das Forum richtet sich ebenfalls gegen eine ausschliesslich profitorientierte Globalisisierung. Entsprechend wird "Davos" von seinen Gegnern als Instanz für die Durchsetzung des globalen, entfesselten Kapitalismus wahrgenommen.
Der Fall des World Economic Forum ist von besonderem Interesse, da es sich, anders als die öffentlich-politischen Konferenzen, ursprünglich um einen privaten Kongress für Führer und Manager des Wirtschaftssektors gehandelt hat, der nach 30 Jahren seines Bestehens als Symbol der neoliberalen Globalisierung im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit heftig umstritten wurde. Ein Blick zurück drängt sich auf.
Davoser Jahresmeetings als ideale Konsultationsplattform
Der in Genf dozierende Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab verfolgte zwei Ideen, als er 1971 Unternehmensführer nach Davos zu einem Symposium einlud: Erstens sollten unter interessierten europäischen Firmenchefs ameri-kanische Managementtheorien diskutiert werden, zweitens galt es die Herausforderung der europäischen Integration aus unternehmerischer Perspektive zu erörtern. Nach dem Erfolg des ersten "European Management Symposium" gründete Schwab die unter Aufsicht des Bundes gestellte Stiftung "European Management Forum" als Organisatorin weiterer Kongresse in Davos.
Die wirtschaftlichen Entwicklungen Europas als Schlüssel-thema bestimmten während den ersten Symposien auch die Zielgruppe des Forums: Europäische Unternehmen, die aufgrund ihrer Grösse an die Grenzen ihres jeweiligen nationalen Marktes stiessen, jedoch nicht als transnationale Konzerne bezeichnet werden konnten. Die Frage nach einer Neupositionierung im europäischen Markt war besonders für diese Firmen von zentraler Bedeutung.
Für die Institutionalisierung eines jährlichen Manager Symposiums waren aber die Umbrüche und Krisen des Weltwirtschaftssystems im Zuge der 70er Jahren konstitutiv (vgl. hierzu NZZ vom 17.1.1997: "Vertrauen und Diskretion als Kapital; Klaus Schwab - Organisator des Davoser Gipfels"). Dabei handelt es sich erstens um den Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods und die Einführung flexibler Wechselkurse. Zweitens wurden die erdölverbrauchenden Industriestaaten durch die Ölkrise 1973/74 erschüttert, was schliesslich die OECD-Staaten ab 1974 in eine Rezession stürzte. Da die auf das erste Symposium folgenden Davoser Treffen weniger Zuspruch fanden, erweiterte Schwab vor dem Hintergrund dieser Umbrüche die thematische Perspektive und rückte entsprechende wirtschaftspolitische und politische Fragen in den Mittelpunkt. Die weltwirtschaftlichen Ereignisse förderten das Interesse der Konzernchefs an einer Diskussionsplattform wie das European Management Forum sie nun bot: Nicht nur profitierten sie vom Meinungsaustausch untereinander, sondern auch von den Referaten von Politikern oder Wissenschaftern zu diesen zentralen Themen.
Das Interesse an einer Teilnahme seitens der Regierungsvertreter ist ebenfalls zum Teil mit den Wirtschaftskrisen zu erklären. In ihrem Fall müssen diese Umwälzungen aber zusätzlich vor dem Hintergrund wachsender ökonomischer Interdependenzen gestellt werden. Die europäische Integration und parallel dazu der globale Strukturwandel der Wirtschaft, der in den 90er Jahren unter dem Begriff "ökonomische Globalisierung" subsumiert werden wird, bedeuteten zunehmende wirtschaftliche Verflechtungen von politisch souveränen Staaten untereinander. Die politischen Führer stehen folglich in einem Spannungsfeld zwischen ökonomischer Interdependenz und nationaler Autonomie, einem Dilemma, das durch die Störungen der Weltwirtschaft in den 70ern verschärft wurde. Das Management dieses Dilemmas auf internationaler Ebene mittels einer Koordinationspolitik war beispielsweise konstitutiv für die Gründung der Weltwirtschaftsgipfel (heute G8) 1975. Die Davoser Treffen boten eine analoge Plattform, jedoch im privaten Rahmen. Zudem, anders als die Konferenzen der G7 bzw. G8, ermöglichten die Davoser Symposien informelle Begegnungen und Diskussionen von auf ihre nationalwirtschaftlichen Interessen bedachten Regierungen mit zunehmend global und selbständig agierenden Wirtschaftskonzernen. Diese Schnittstelle des Wirtschaftssektors und der Politik veranlasste auch zahlreiche Politiker, hier für verstärkte Investitionsaktivitäten im eigenen Land zu werben. Den Grossteil der Teilnehmer stellen aber die Wirtschaftskonzerne: Seit 1976 ist die Stiftung nämlich eine Mitglieder-Organisation, welche sich vollumfänglich über die Jahresbeiträge ihrer Mitglieder und Teilnahmegebühren für das Jahrestreffen finanziert. Als Mitglieder werden jedoch ausschliesslich Unternehmen aufgenommen.
Im Verlaufe der 80er Jahren richtet sich das Forum zudem vermehrt transnational aus: Vertreter Internationaler Organisationen, Delegationen aus Japan und den USA sowie aus Entwicklungs- und Schwellenländern nehmen immer häufiger teil. Das manifestiert sich im veränderten Auftritt der Organisation: 1987 ändert sie ihren Namen in "World Economic Forum". Den Wandel vom Managerkongress zum Weltwirtschaftsforum illustrieren auch die von der Organisation formulierten Zielverfolgungen: Das Leitmotiv der 70er und frühen 80er Jahre setzte den Schwerpunkt zuerst auf die Förderung des wirtschaftlichen und später zusätzlich auf den sozialen Fortschritt. Der aktuelle Slogan "Committed to improving the State of the World" fügte das WEF schliesslich Mitte der 90er Jahre seinem Logo an.
Die Analyse der Berichterstattung in Schweizer Leitmedien und einer Auswahl ausländischer Medien zeigt, dass das Forum in den 70ern und 80ern durchaus eine gute Reputation als Diskussions- und Konsultationsforum genoss.
Das WEF seit Mitte 90er Jahre: Club der neoliberalen Globalisierungselite oder philanthrope Organisation?
Mit dem Zusammenbruch der Sowjet-Union 1989 war nicht nur die geopolitische Konstellation des kalten Krieges beendet, sondern der Triumphzug des kapitalistischen Wirtschaftssystems eingeläutet. Gleichzeitig führten Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft auf nationaler wie transnationaler Ebene zu neuen Handels-, Finanz- und Produktionsregimes, welche zusammengefasst zum gesellschaftlich kontroversen Leitbegriff "Globalisierung" avancierten.
Auch das World Economic Forum besetzte das Themenfeld "Globalisierung": 1996 war "Sustaining Globalisation" das Hauptthema, 1999 "Responsible Globality". Spätestens 1996 haben die Forums-Organisatoren gefährliche Entwicklungen in der Reorganisation der weltweiten ökonomischen Struktur identifiziert. In der International Herald Tribune vom 1.2.1996 sowie im Report des "1996 Annual Meeting" machen sie unter anderem auf die Destabilisierung des gesellschaftlichen Gefüges in der westlichen Welt aufgrund arbeitsplatzbedrohender Restrukturierungen aufmerksam sowie auf die grösser werdende Diskrepanz zwischen den Globalisierungsprozess-Gewinnern und -Verlierern. Sie schreiben unter dem Titel "Start Taking the Backlash against Globalization Seriously": "In the famous process of "creative destruction", only the "destruction" part seems to be operating for the time being". Obwohl die Autoren im Artikel die Überzeugung vertreten, dass es sich bei der Globalisierung um einen immensen ökonomischen Umstrukturierungs- und Umverteilungsprozess handelt, dessen Ausgang in einem deutlichen Zuwachs an Prosperität für die Weltgemeinschaft resultiert, gilt es den Prozess als solchen für alle verträglicher zu gestalten: "Public opinion in the industrial democracies will no longer be satisfied with articles of faith about the virtues and future benefits of the global economy. It is pressing for action." Davos als transnationale Konsultationsplattform bietet sich konsequenterweise geradezu ideal an, hier Strategien angesichts der perzipierten Problematiken zu entwickeln.
Warum das WEF trotz seines Mottos "Committed to improving the State of the World", der zunehmenden Bewirtschaftung sozialer Themen sowie seiner Warnung vor der Globalisierungsproblematik seinen Ruf als Club der neoliberalen Globalisierungselite nicht unterbinden konnte und mit der Antiglobalisierungs-Bewegung konfrontiert wurde, hängt mit der Exklusivität seiner Mitglieder zusammen. Bis zur Jahrtausendwende bestanden diese ausschliesslich aus den 1'000 weltgrössten Konzerne gemessen am Umsatz, als Teilnehmer zur Zusammenarbeit eingeladen waren ranghöchste Politiker, Internationale Organisationen und - zwar lediglich in einer Minderheit, aber schon seit den Anfängen des Forums vertreten - Gewerkschaftchefs und religiöse Führer. Die sich im Verlaufe der Jahre herauskristallisierte Leitidee der WEF-Organisatoren, eben durch die Zusammenkunft jener Akteure den wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern und gleichsam einer Synergie dabei humanitäre und soziale Herausforderungen zu bewältigen, entbehrt bei den Gegnern jeder Kredibilität. Dies ganz besonders vor dem Hintergrund sich häufender Dysfunktionalitäten auf unterschiedlichen ökonomischen Levels. Zu nennen sind etwa die Finanzskrise in Asien 1997, das in übermässiger Armut verharrende Afrika oder die schlagzeilenkräftigen Firmenskandalen wie "Enron".
Der Widerspruch zwischen der sozial-humanitären Orientierung der Organisation und ihren aus den mächtigsten Konzernen bestehenden Mitgliedern, schildert der als "Media Leader" am Meeting 1998 eingeladene Lewis Lapham (Lapham, 1998): Im Anschluss an sein Leitmotiv einer Analogie des WEF mit einem Ordensglauben wirft er die Frage auf, ob der für die Mitglieder charakteristische Glaube an Adam Smith's unsichtbare Hand - welche profit-orientiertes Handeln des Einzelnen zum für alle optimalsten Endresultat zusammenfügt - ein soziales Engagement nicht per se negiert. Zudem seien die CEO's der erfolgreichsten Konzerne sowieso kaum an Plenarsitzungen zu humanitären Themen interessiert, sondern vor allem den ihren Zwecken dienlichen.
Defizitäre Partizipationsstrukturen in Davos
Einer der Gründe für den Kredibilitätsverlust der einst reputierten Konsultationsplattform liegt im Versäumnis der WEF-Organisatoren, genügend Akteure aus ökologisch, humanitär und sozial tätigen Gesellschaftsbereichen einzubeziehen, und zwar spätestens dann, als sie selbst problematische Entwicklungen im Globalisierungsprozess erkannt hatten . Auch wenn das WEF schon früh Gegenstimmen berücksichtigte - beispielsweise hat die deutsche grüne Abgeordnete und Friedensaktivistin Petra Kelly 1983 in Davos ein Referat über alternative und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsstrukturen gehalten - so wurde ihnen im Verhältnis zu den anderen Teilnehmern und besonders zu den Mitgliedern zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen.
Die Forumskombination einer ausschliesslich aus Konzernen bestehenden Mitglieder-Organisation mit einem wirtschaftlichen und politischen Konsultationssystem internationaler Prägung mochte vor dem Hintergrund der Herausforderungen der 70er und 80er Jahre aufgehen. Im Zuge problematischer Entwicklungen im Globalisierungsprozess geht diese Kombination in dieser Form aber nicht mehr auf. Zum Management der perzipierten Probleme im ökologischen, sozialen und humanitären Bereich müssen jene Akteure beigezogen werden, die diese Problemfelder bewirtschaften, wie NGO's, Gewerkschaften und Kirchen, auch wenn deren Anliegen als Globalisierungs-Kritiker oft den ökonomischen Interessen der WEF-Mitglieder diametral gegenüber stehen.
"Davos" ist in ein Dilemma geraten: Als Mitglieder-Organisation von Konzernen ist das WEF seinen Mitgliedern verpflichtet - als Konsultationssystem mit dem Leitziel, den Zustand der Welt zu verbessern, kann es vor dem Hintergrund der Globalisierungsproblematik diese einseitige Verpflichtung aber nicht einhalten. Um dieses Dilemma zu überwinden kann das WEF seine Organisationsstruktur ändern und eine transgesellschaftliche Konsultationsplattform werden, welche opponierenden Meinungen gleich viel Platz einräumt, um die gemeinsamen Herausforderungen im Konkordanzverfahren auszuhandeln. Oder aber - und diese Lösung hat das Forum gewählt - es bleibt eine Mitglieder-Organisation für Konzerne, verpflichtet diese aber den sozial-humanitären WEF-Leitzielen mittels konkreter, den aktuellen Problemen angepassten Auflagen. In diesem Sinn fördert das WEF nun gezielt die Partnerschaft seiner Mitglieder mit der Wissenschaft, Regierungen, Internationalen Organisationen, NGO's und Gewerkschaften. Diese Partnerschaften konkretisieren sich in der Zusammenarbeit im Rahmen von Initiativen und Task Forces, die das WEF lanciert hat: Die "Automotive Industry and Global Climate Change Initiative" beispielsweise sucht nach Entwicklungs- und Einführungsmöglichkeiten umweltgerechter Antriebe für Autos. Die "Agricultural Trade Task Force" erarbeitet Lösungen zur Bekämpfung der Armut in Entwicklungsländern durch die Förderung der einheimischen Landwirtschaft. Schliesslich haben die WEF-Organisatoren auch den Vertrauensverlust der Gesellschaft in Wirtschaftskonzerne anerkannt und die "Global Corporate Citizenship Initiative" zur Förderung sozialverantwortlichen Handelns ihrer Mitgliedsunternehmen lanciert.
Vor dem Hintergrund der verhärteten Fronten in der Globalisierungsdebatte bleibt die Frage vorläufig aber offen, wann und ob das WEF durch diese Massnahmen seine Kredibilität wieder erlangt.
Sabine Alder studiert an der Universität Zürich Soziologie und Romanistik. Der Artikel basiert auf ihrer kurz vor dem Abschluss stehenden Lizentiatsarbeit für welche sie sich mit dem World Economic Forum befasst hat. Der Kernpunkt der Lizentiatsarbeit ist eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung über das Forum 1971-2002 in schweizer Leitmedien und einer Auswahl ausländischer Medien.
Literaturauswahl
Lapham, Lewis (1998): The Agony of Mammon. The Imperial Global Economy Explains itself to the Membership in Davos, Switzerland. Verso, New York.
Putnam, Robert D. / Bayne, Nicholas (1985): Weltwirtschaftsgipfel im Wandel. Europa Union Verlag, Bonn.
Aguiton, Christophe (2002): Was bewegt die Kritiker der Globalisierung? Von Attac zu Via Campesina. ISP, Köln.
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