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soziologie.ch soz:mag#6 effizient studieren

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Die tertiäre Bildung in der Ära des New Public Management

Seit einigen Jahren nimmt der Spardruck im öffentlichen Sektor zu. Oft gehen Budget-Kürzungen und der Ruf nach mehr Effizienz mit neuen Management-Methoden einher, die unter dem Begriff des New Public Management (NPM) zusammengefasst werden können. Dabei werden Management-Techniken aus dem privaten Sektor auf den öffentlichen Sektor übertragen, was einen Wertewandel nach sich zieht: Im Zentrum des neo-liberal inspirierten NPM steht die Effizienzsteigerung, die in der Regel dank stärkerer Konkurrenz zwischen den verschiedenen Akteuren erreicht werden soll . Dabei geraten qualitative Aspekte oftmals in den Hintergrund. Diese Tendenz betrifft auch das Bildungswesen. Der vorliegende Artikel geht daher den sozio-ökonomischen Auswirkungen der aktuellen Reformen im Bereich der tertiären Bildung nach.

SOZ-MAG Beitrag von Beat Estermann

Das NPM ist eine Management-Strömung im öffentlichen Sektor, die seit Ende der siebziger Jahre, ausgehend von Grossbritannien, den USA und Neuseeland, in den meisten Industrieländern in irgendeiner Form Einzug in die öffentlichen Verwaltungen gehalten hat. Im Zentrum des NPM steht das Bestreben nach Rationalität, Wirksamkeit und Effizienz. Der neo-liberalen Auffassung folgend, werden diese Ziele am ehesten in einem wettbewerborientierten Umfeld mit dezentralen Akteuren erreicht, die sich der Marktlogik entsprechend verhalten. Gemäss den Befürwortern des NPM liegen dessen hauptsächliche Vorteile in den Kosteneinsparungen, der Effizienzsteigerung und der Annäherung der öffentlichen Verwaltung an die Bürger (Steuerzahler).

Je nach politischem System können sich die Reform-Massnahmen auf unterschiedliche Aspekte richten. Mönks (1998) unterscheidet vier Hauptaspekte: Effizienz, Flexibilität der Organisation, Qualität (Kundenorientierung) sowie Dezentralisierung (Bürgerorientierung). Abbildung 1 gibt eine Übersicht über die verschiedenen Management-Konzepte, welche im Rahmen des NPM eingesetzt werden. In der Regel handelt es sich um Management-Techniken, die aus der Privatwirtschaft übernommen werden.

Estermann2004

Die tertiäre Bildung in der Schweiz

In der Schweiz ist die Zahl der Studierenden seit Anfang der achtziger Jahre um rund 80% angestiegen. Ein Teil dieses Anstiegs geht auf die Erhöhung des Frauenanteils unter den Studierenden zurück, der zu Beginn der achtziger Jahre nur etwa einen Drittel ausmachte, während er sich mittlerweile bei etwa 50% eingependelt hat. Mit der Studierendenzahl sind auch die Kosten gestiegen, so dass der finanzielle Druck immer grösser wird, auch wenn die Kosten pro Student/in in den letzten Jahren stabil geblieben sind. So besteht allgemein in der Schweiz die Tendenz, die Studiengebühren zu erhöhen. Parallel zum Anstieg der Studiengebühren ist eine Verminderung der ausgezahlten Stipendienbeträge zu beobachten. So wurde laut Bundesamt für Statistik die Summe der ausbezahlten Stipendien zwischen 1996 und 2001 von 0.30‰ auf 0.26‰ des BIP gesenkt. Zudem haben in dieser Zeit sowohl die Lebenshaltungskosten als auch die Zahl der Studierenden zugenommen. Angesichts der steigenden Kosten in der tertiären Bildung ist demnach eine zunehmende Verlagerung der finanziellen Last vom Staat auf die Studierenden und ihre Familien auszumachen.

Wirtschaftskreise fordern, die Studiengebühren auf 5000 Franken jährlich zu erhöhen (AKW 2004), um Engpässe bei der Bildungsfinanzierung zu überbrücken und die Studierenden leistungswilliger zu machen. Ziel ist es, die staatlichen Bildungsausgaben teilweise durch ein individuelles Finanzierungsmodell zu ersetzen. Dieser Paradigmenwechsel entspricht einer Tendenz zahlreicher Staaten, sich von der Finanzierung der tertiären Bildung mehr und mehr zurückzuziehen und die Kosten auf die privaten „Nutzniesser“ zu überwälzen.

Seit den neunziger Jahren werden verschiedene Schweizer Universitäten mittels Leistungsvereinbarungen und Globalbudgets gelenkt. Diese zunehmende Autonomie der tertiären Bildungsinstitutionen zielt auf die bessere Trennung zwischen strategischer und operativer Führung ab. Der Autonomiegewinn der Universitäten ist allerdings beschränkt: Zum einen verfügen die Universitäten dank der akademischen Freiheit traditionell über grosse Freiräume. Zum andern ist parallel zur Dezentralisierung finanzieller Detailentscheide eine zunehmende Zentralisierung zu beobachten: So hat Bundesrat Couchepin letzten Februar in einem Interview in Le Temps (02.02.2004) die Idee lanciert, einen gesamtschweizerischen „Hochschulrat“ (Conseil de l‘enseignement supérieur) ins Leben zu rufen, der Budgetbefugnisse hätte und die strategische Führung innerhalb der Schweizer Hochschullandschaft wahrnehmen würde.

Im Rahmen des Bologna-Prozesses werden zudem die Studien-gänge europaweit harmonisiert. Ziel der Reformen ist die bessere Vergleichbarkeit der Abschlüsse, eine Verbesserung der Mobilität sowie eine effizientere Qualitätssicherung innerhalb eines europäischen Bildungsraums. In der Schweiz hat die Umsetzung der Reformen dazu geführt, dass die Hochschulkantone einen Teil ihrer Kompetenzen an die Schweizer Universitätskonferenz (SUK) abgetreten haben. Das gemeinsame Organ von Bund und Kantonen kann im Bereich der Hochschulpolitik nun Entscheide fällen, welche für alle beteiligten Kantone und Universitäten bindend sind (SUK 2003). Die Harmonisierung der Studiengänge ermöglicht zudem den direkten Leistungsvergleich (Benchmarking) zwischen den Universitäten. So arbeitet denn die SUK auch an einem entsprechenden Ranking-System (SUK 2004).

Dezentralisierung der operativen Führung, strategisches Management auf Vertragsbasis, Marktorientierung und Erhöhung der Konkurrenz zwischen Institutionen, Benchmarking zur Qualitätskontrolle sowie vermehrte private Finanzierung: Dies alles sind Massnahmen, die dem Geist des NPM entsprechen. Oftmals wird ihre Einführung vom Diskurs der Effizienzsteigerung begleitet. Kosteneinsparungen stehen dabei im Vordergrund, da der finanzielle Input am einfachsten zu messen ist. Qualitative Aspekte dagegen sind oftmals schwer fassbar und werden ungenügend berücksichtigt. Es besteht zudem das Risiko, dass politische Entscheide im technischen Diskurs der Effizienz-Debatte nicht mehr als solche erkannt werden. Im Folgenden sollen daher anhand von Erfahrungen in verschiedenen Staaten die sozio-ökonomischen Auswirkungen von NPM-inspirierten Massnahmen beleuchtet werden.

Die Mär von der Dezentralisierung

Oftmals wird die Trennung von strategischer Führung und operativem Management als Autonomiegewinn für die Institutionen dargestellt und mit Dezentralisierung gleichgesetzt. Damit soll besser auf die lokalen Bedürfnisse und nicht zuletzt auch auf die Anliegen der Studierenden eingegangen werden können. Doch der Schein trügt: Der Dezentralisierung der operativen Führung steht häufig eine Zentralisierung der strategischen Führung gegenüber. Die Einführung von Marktmechanismen bedarf einer verstärkten Harmonisierung, d.h. der Gleichschaltung aller Institutionen. Die Spielregeln – Zulassungsbedingungen, Studiengebühren, usw. – sowie häufig auch das Gesamtbudget werden vermehrt zentral definiert. In traditionell dezentralen Systemen führt dies zu einer zunehmenden Zentralisierung des Bildungssektors. So beschäftigen sich an belgischen Universitäten die Rektoren zunehmend mit der Umsetzung der strategischen Vorgaben zentraler Instanzen sowie mit der Anpassung ihrer Institution an die neu definierten Standards (Charlier/Mons 2003). Die Managerialisierung der Hochschulleitung kann denn auch eine verstärkte Zentralisierung der Verwaltung innerhalb der Universitäten nach sich ziehen, da der Finanzierungsfluss davon abhängt, wie rasch man sich an die strategischen Vorgaben anpasst (Deer 2003). Die vermehrte Einbindung von Studierenden in die Entscheidungsprozesse entpuppt sich als Trugbild.

Globalbudgets erlauben es der zentralen Entscheidungsinstanz, die Sparschraube anzuziehen, ohne über die politischen Auswirkungen Rechenschaft ablegen zu müssen. Die operative Umsetzung erfolgt zeitlich verzögert. Die Budgetkürzungen werden zum technischen Problem der Institutionen, die um ihr Überleben auf dem Markt kämpfen müssen und sich eine politische Debatte nicht leisten können. Von diesem Mechanismus hat die britische Regierung profitiert, um das Budget der tertiären Bildung drastisch zu kürzen. Die Universitätsleitungen werden so zu simplen Verwaltern des Budgetlochs (cf. Deer 2003). Auch in Frankreich, das traditionell über ein zentralisiertes Universitätssystem verfügt, hat die sogenannte Dezentralisierung die Autonomie der Universitäten nur auf dem Papier vergrössert. Die Zentralregierung hat nicht nur die operativen Freiheiten der Hochschulen durch den gesetzlichen Rahmen stark eingeschränkt, sondern lässt es sich auch in Zukunft nicht nehmen, mittels Steuerungsmassnahmen und an spezifische Auflagen geknüpfte Budgets direkt in deren Führung einzugreifen (Musselin/Mignot-Gerard 2003). Einzige Neuerung: Die planwirtschaftliche Steuerung erfolgt heute mittels Marktmechanismen, welche die politischen Fragen entpolitisieren, denn die Umsetzung ist ja nunmehr Sache der einzelnen Institutionen.

Der Mythos des Marktes

Der Markt ist in unserer Gesellschaft der Archetyp einer dezentralisierten Entscheidungsstruktur. Obwohl die Grenzen des Marktes hinlänglich bekannt sind, werden Marktmechanismen immer wieder als Patentlösung präsentiert. Im Zeitalter der Globalisierung soll der Bildungsmarkt und der Markt für das sogenannte Humankapital möglichst international sein. Zwar hat der vermehrte internationale Austausch zwischen Studierenden, Dozierenden und ArbeitnehmerInnen sicherlich einen positiven Einfluss auf die Bildungsqualität und damit auf die Wissensproduktion, doch dürfen wir nicht die Augen davor verschliessen, dass die Einrichtung eines Bildungsmarktes auch eine Öffnung ganz anderer Art nach sich zieht: Die Nachfrage auf dem Bildungsmarkt ist finanzieller Natur und wird durch die Vermarktwirtschaftlichung des Bildungssektors vermehrt auch von privater Seite gebildet. Die strategischen Entscheide im Bildungssektor werden daher nicht nur vom Staat oder durch dessen Delegation im Rahmen von „Voucher“-, Stipendien- und Darlehen-Systemen von Studierenden bestimmt, sondern zunehmend auch von privaten Akteuren, die entweder ein Interesse haben, Studieninhalte nach ihrem Geschmack mitzugestalten, oder ganz einfach die Universität als Marketing-Plattform nutzen möchten. Neben dem Zentralisierungseffekt aufgrund der Kapitalkonzentration in der Gesellschaft trägt der globale Konkurrenzkampf dazu bei, dass sich die Universitäten vermehrt an einigen erfolgreichen Vorbildern, wie Harvard oder Berkeley, ausrichten und sich eine Vereinheitlichung der Bildungslandschaft abzeichnet. Eine ähnliche Wirkung haben globale Qualitätsindikatoren, welche in der Marktlogik als Ersatz für strategische Ziele dienen und weder demokratisch legitimiert, noch von unvorhergesehenen strategischen Manövern verschiedener Akteure gefeit sind (Aufpeppen von Zitationslisten, Aufsplitten von Publikationen, einseitige Ausrichtung auf bestimmte Indikatoren, etc.).

Während die Anhänger einer Marktlösung im Markt den besten Garanten für eine effiziente Allokation der Ressourcen sehen, verweisen Skeptiker darauf, dass der Bildungsmarkt alles andere als ein perfekter Markt ist: Erstens sind Investitionen in Humankapital kaum rückgängig zu machen und nur beschränkt an neue Gegebenheiten anpassbar. Studierende haben daher wenig Möglichkeiten, ihre Studienwahl nach einigen Jahren ohne grössere Verluste auf neue Rahmenbedingungen auszurichten. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass die Informationslage in Bezug auf die längerfristige Rentabilität der einzelnen Studiengänge unzulänglich ist. Zweitens sind Investitionen in Humankapital mit positiven Externalitäten für die Gesellschaft verbunden, welche eine staatliche Teilfinanzierung verlangen. Während die staatliche Finanzierung zur Deckung des kollektiven Nutzens von Bildung theoretisch so gestaltet werden kann, dass sie kaum einen Einfluss auf das Funktionieren des Bildungsmarktes hat, ist dies bei der Verfolgung des Ziels der Chancengleichheit und im Rahmen einer Umverteilungspolitik im Bildungssektor nicht möglich. Für solche Probleme gibt es keine Marktlösung. Der Staat muss daher steuernd eingreifen. Und drittens orientiert sich weder die Bildungsnachfrage der Studierenden genügend am künftig erwarteten Gehalt, noch reagieren die Universitäten ausreichend auf die studentische Nachfrage, um eine durch die Humankapitaltheorie postulierte Ausrichtung des Bildungsangebots auf die Nachfrage am Arbeitsmarkt sicherzustellen (Leroux 2003).

„Cost Sharing“

„Cost Sharing“ ist die euphemistische Bezeichnung für die Überwälzung von Bildungskosten, die bis anhin vom Staat getragen wurden, auf die privaten Nutzniesser der Bildung: die Studierenden und ihre Familien. Als ideologische Grundlage des „Cost Sharing“ dient die Humankapitaltheorie, welche Bildungsausgaben primär als private Investitionen betrachtet, was deren öffentliche Finanzierung in Frage stellt. Die Rendite dieser Investitionen hängt vom erzielten Lohn am Arbeitsmarkt ab. Als rational handelnde Akteure würden demnach Studierende Bildungsleistungen nur in Anspruch nehmen, wenn sie davon ausgehen können, dass die Investition langfristig rentabel ist. Durch eine erhöhte Beteiligung der Studierenden an der Bildungsfinanzierung würde erreicht, dass sie effizienzbewusster studieren.

Ein weiteres Argument, das von den Befürwortern des «Cost Sharing» gern vorgebracht wird, ist der Verweis auf die regressive Wirkung des bestehenden Finanzierungssystems aufgrund der überdurchschnittlichen Beteiligung von Studierenden aus gut betuchten Familien. Angesichts der mangelnden Chancengleichheit und der schichterhaltenden Wirkung des universitären Bildungssystems stellt sich die Frage der Legitimität staatlicher Subventionen. Eine elegante Lösung bestände darin, die Nutzniesser selbst zur Kasse zu bitten. Ob damit ein gerechteres System erreicht wird, ist allerdings fraglich. Das tertiäre Bildungssystem dürfte kaum die treibende Kraft der Schichterhaltung darstellen, sondern wird dazu höchstens instrumentalisiert, genauso wie es im Rahmen der Politik der Chancengleichheit dazu benutzt wird, die soziale Mobilität zu fördern. Allfällige Reformen müssen daher daraufhin untersucht werden, ob sie die Regressivität des Systems tendenziell erhöhen oder vermindern. Dabei darf sich die Analyse jedoch nicht auf die Ausgabenseite allein beschränken. Das universitäre Bildungssystem ist vor allem auch deshalb regressiv, weil die Progressivität der Einkommenssteuer aufgrund von Schlupflöchern im Steuersystem, Steuerflucht und Steuerbetrug limitiert ist. Durch die Erhöhung der Studiengebühren lässt sich dieser Missstand nur beschränkt beheben, denn die Schwierigkeit besteht darin, dass weniger gut betuchte Studierende oftmals kaum über die Mittel verfügen, neben dem Studium für den Lebensunterhalt aufzukommen, geschweige denn, die gesamten Ausbildungskosten zu tragen. Um dieses Problem zu entschärfen, werden Stipendien und staatlich subventionierte Darlehenssysteme ins Leben gerufen, die natürlich ihrerseits auch Schlupflöcher und Betrugsmöglichkeiten bieten. Die Existenz breit angelegter Unterstützungssysteme steht überdies im Gegensatz zum erklärten Ziel der Effizienzsteigerung. Zudem scheint das zunehmende „Cost Sharing“ in der Hochschulfinanzierung einige ungewollte Nebeneffekte zu haben, die umso stärker ins Gewicht fallen, je mehr sich der Staat aus der Finanzierung der tertiären Bildung zurückzieht.

Erfahrungen aus den USA, Grossbritannien, Neuseeland und Australien zeigen, dass Finanzierungssysteme, bei denen die Rückzahlung der Darlehen unabhängig vom tatsächlichen Lohn erfolgt, zur Diskriminierung von gesellschaftlichen Gruppen führen, die im Hinblick auf Chancengleichheit eigentlich gefördert werden müssten: ethnische und religiöse Minderheiten, sozial schwächere Bevölkerungsschichten, alleinerziehende Frauen, usw. Zudem ist in den USA die Tendenz zur Segregation auszumachen. Studierende aus reichen Familien besuchen vermehrt private Universitäten mit hohem Prestige und ebenso hohen Gebühren, während Studierende aus ärmeren Schichten in den staatlich finanzierten Community Colleges mit bescheidenerem Ruf zunehmend unter ihresgleichen sind.

Zweifel gibt es auch bezüglich der Fähigkeit von Studierenden, die Kosten ihrer Verschuldung und den künftig zu erwartenden Lohn richtig einzuschätzen: Gemäss einer amerikanischen Studie unterschätzen 78% der Studierenden die Kosten des Studien-Darlehens und besonders die stark verschuldeten Studierenden tendieren dazu, ihr künftiges Einkommen überzubewerten. Im Durchschnitt liegt der geschätzte Lohn 30% über dem reell zu erwartenden Wert (King/Frishberg 2001), und die Mehrheit der ehemaligen Studierenden würde sich im Nachhinein weniger Geld fürs Studium leihen (Baum/O‘Malley 2003). In allen vier erwähnten Staaten, in denen die Umsetzung der NPM-Reformen im Hochschulbereich besonders fortgeschritten ist, ist die studentische Verschuldung im Steigen begriffen. Zu den Schulden aus dem Studium kommen oftmals auch noch Kreditkartenschulden. Die Kultur der Verschuldung, durch die konsequente Umsetzung der Humankapitaltheorie gefördert, hat nicht nur negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Studienabgänger, sondern erhöht auch die Gefahr, dass Darlehen nicht zurückbezahlt werden können und der Staat vermehrt in die Lücke springen muss.

In Australien und Neuseeland haben steigende Studien-gebühren zudem den Emigrationsdruck erhöht: Für hoch verschuldete Studienabgänger besteht ein starker Anreiz, in Länder auszuwandern, in denen sie mit höheren Salären rechnen können. So trägt dieses Phänomen in Neuseeland massgeblich zum Personalmangel im Pflegebereich bei. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Staat im Endeffekt einen Teil der im Bildungsbereich eingesparten Kosten in Form von Personalkosten wird tragen müssen. Die Qualität der staatlichen Leistungen steht auf dem Spiel. So hat zum Beispiel die American Bar Association bereits Alarm geschlagen, da die Verschuldung bis zu 66% der Jus-Studierenden davon abhalte, eine staatliche Karriere einzuschlagen, da die Saläre des öffentlichen Dienstes es nicht mehr erlaubten, die Darlehen binnen nützlicher Frist zurückzuzahlen, nachdem die Studiengebühren sich zwischen 1992 und 2002 mehr als verdoppelt haben. Der Lohndruck dürfte auch die Universitäten treffen, die sehr stark auf Humankapital angewiesen sind. Allerdings ist zu erwarten, dass es eine Generation dauern wird, bis solche Kostenverlagerungen bei den staatlichen Personalkosten vollständig spürbar werden.

Kommerzialisierung

Die Vermarktwirtschaftlichung der höheren Bildung und der schleichende Rückzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung birgt die Gefahr einer zunehmenden Kommerzialisierung. Universitäten, die sich allzu sehr kommerziell ausrichten, werden kaum mehr in der Lage sein, ihre gesellschaftliche Funktion wahrzunehmen. Während bestimmte Formen der Kommerzialisierung vor allem darauf abzielen, die Universität als Plattform für Marketing und Vertrieb zu nutzen, haben es gewisse Unternehmen auf die Einflussnahme bei der Festlegung von Lehrinhalten abgesehen. Bisweilen sind gar Lehrstühle und Departementleitungen käuflich (Shaker/Doherty-Delorme 1999). Solche Auswüchse stellen die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre in Frage und kommen einer Absage an die akademische Freiheit gleich. Es ist zudem mehr als fraglich, ob unsere Gesellschaft Universitäten braucht, die, jeglicher Reflexion beraubt, Grosskonzernen und Multimilliardären hörig sind. Denn so wenig wie wir eine Gesundheitsforschung brauchen, die von Philip Morris gesponsert wird, brauchen wir einen Nestlé-Lehrstuhl für Ernährungswissenschaft, einen Crédit-Suisse-Lehrgang für Entwicklungszusammenarbeit oder ein Roche-Studium für Kartellrecht. Mag ein derartiger Ausverkauf im Bildungsbereich für Schweizer Verhältnisse unwahrscheinlich erscheinen [1], so sei hier doch der Warnung halber angemerkt, dass in bestimmten angelsächsischen Ländern, die auch von Lobbygruppen der Schweizer Wirtschaft in Sachen Bildungspolitik gern als Vorbilder zitiert werden, die zunehmende Kommerzialisierung der Universitäten nur mehr Schulterzucken hervorruft.

Natürlich führt die Anwendung von NPM-Methoden nicht unvermeidlich zur Kommerzialisierung oder gar zur Privatisierung der tertiären Bildung. Doch liefert die Idealisierung des Marktes die ideologische Basis dazu und führt zu einem nachhaltigen Wertewandel innerhalb des Bildungssektors, während die angestrebten Reformen kaum geeignet sind, die Effizienz des Bildungswesens zu steigern oder das System bürgernäher zu gestalten.

Beat Estermann absolviert an der Universität Genf ein Masters of Public Administration. Der vorliegende Text beruht vorwiegend auf zwei Seminararbeiten. Der Autor hat zudem bei der Erstellung einer Literaturübersicht zum Thema der Zuständigkeit des Staates im Bereich der Hochschulbildung und der akademischen Forschung mitgewirkt: Schoenenberger, Alain , "Are Higher Education and Academic Research a Public Good or of Public Responsibility?". In: Proceedings of the Conference on Public Responsibility for Higher Education and Resear ch, Europarat (in Vorbereitung).

Anmerkung:
[1] In verdeckter Form scheint die Einflussnahme der Wirtschaft auf die Forschung in der Schweiz bereits heute in kaum vertretbarem Ausmass stattzufinden. So hat Philipp Morris bis vor kurzem die Forschung des ehemaligen Professors der Universität Genf Ragnar Rylander zu den Auswirkungen des Passivrauchens finanziell gefördert. Kleines Detail: Die kommerzielle Bindung hat den Professor offenbar dazu verleitet, im Rahmen seiner Arbeiten zu den Auswirkungen des Passivrauchens auch vor betrügerischem Vorgehen nicht zurückzuschrecken. Wie aus den Gerichtsakten zu entnehmen ist, haben sich sowohl die Universität Genf als auch die Genfer Justiz schwer damit getan, den Betrug als solchen zu identifizieren, was die Frage aufwirft, ob das System überhaupt in der Lage ist, sich vor unziemlichen Einflussnahmen seitens kommerzieller Interessen zu schützen. Siehe: http://www.prevention.ch/ryju151203.pdf

Literaturauswahl:

New Public Management:
Osborne, T. / Gaebler, D. (1992) Reinventing Governement: How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Sector. Reading MA : Addisson-Wesley.
Mönks, J. (1998) “La nouvelle gestion publique: boîte à outils ou changement paradigmatique?”. In La pensée comptable, sous la direction de M. Hufty, Les nouveaux cahiers de l‘IUED No. 8, Paris : PUF, 1998, pp. 77-90.

Schweizer Hochschulpolitik:
AKW (2004), Neue Wege zur Hochschulfinanzierung, Arbeitskreis Kapital und Wirtschaft. http://www.economiesuisse.ch/d/Studie_Bildung.pdf
BfS (2003) Hochschulindikatoren, Bundesamt für Statistik, Neuchâtel.
SUK (2003) Kommentar zu den Bologna-Richtlinien, Schweizerische Universitätskonferenz, 4. Dezember 2003.

NPM im Hochschulbereich:
Charlier, Jean-Emile/Mons, Fédéric (2003) “Gérer des universités en Belgique francophone”. Sciences de la société, no. 58, février 2003: Les universités à l‘heure de la gouvernance.
Deer, Cécile (2003) “Changements politiques et évolution des pratiques de gouvernance universitaire en Angleterre”. Sciences de la société, no. 58, février 2003.
Leroux, Jean-Yves (2003) “La licence professionnelle et l’avenir des universités”. Sciences de la société, no. 58, février 2003.
Musselin, Christine / Mignot-Gérard, Stéphanie (2003) “L’autonomie, pas à pas”. Sciences de la société, no. 58, février 2003.

Studentische Verschuldung:
Baum, S., O‘Malley, M. (2003) College on Credit: How Borrowers Perceive their Education Debt. Results of the 2002 National Student Loan Survey. Final Report of the National Student Loan Survey, Nellie Mae Corporation, Braintree MA. http://www.nelliemae.com/library/nasls_2002.pdf
Brown, Eileen/Matthews Rebecca (2003) The Impact of Student Debt on Nurses: An Investigation, New Zealand University Students‘ Association and New Zealand Nurses Organisation. http://www.nzno.org.nz/SITE_Default/SITE_Current_Issues/x-files/1907.pdf
Callender, C. (2003) Attitudes to Debt: School leavers and further education students’ attitudes to debt and their impact on participation in higher education. A report for Universities UK and HEFCE by Professor Claire Callender, South Bank University. http://www.universitiesuk.ac.uk/bookshop/downloads/studentdebt.pdf
King, T./Frishberg, I (2001) Big Loans, Bigger Problems: A Report on the Sticker Shock of Student Loans, Washington DC: The State Pirgs Higher Education Project. http://www.pirg.org/highered/studentdebt/finaldebtreport.pdf
Pearse, H. (2003) The social and economic impact of student debt, Research Paper, Council of Postgraduate Associations Incorporated, March 2003. http://www.uow.edu.au/wupa/impact_of_student_debt.pdf

Kommerzialisierung :
Bok, Derek (2003) Universities in the Marketplace: The Commercialization of Higher Education, Princeton University Press.
Shaker, Erika/Doherty-Delorme, Denise (1999) “Private Money, Private Agendas”. Higher Education Ltd., Vol. 1 N4.

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«Kommunikation ist unwahrscheinlich.»

Niklas Luhmann (2001): Aufsätze und Reden, Hrsg: Oliver Jahraus, Stuttgart, S.78